0206 - Das Vampirnest
Anruf der Frau. Verzweifelt hatte ihre Stimme geklungen, sehr verzweifelt sogar. Aber das sollte sie, für den Arzt ein Zeichen, daß alles glatt lief. Aufgehängt hatte sich Jack, und er lebte weiter. Wenn das kein Schock für seine Frau gewesen war. Er trug den Keim in sich, von dem Costello gesprochen hatte, und weitere Menschen würden ihn bald ebenfalls in ihrem Innern tragen. Sie warteten bereits darauf, waren begierig, endlich die neue Droge zu probieren.
Der Arzt grinste kalt, als er daran dachte. Die Gäste würden sich wundern, wenn er zurückkam. Die Feier sollte weitergehen, aber wie.
Die Gäste sollten in einen Rausch fallen, aus dem es für sie nur noch das blutgierige Erwachen gab.
Alles war genau programmiert.
Wäre die Fahrzeugbeleuchtung nicht gewesen, so hätte man den schwarzen flachen Jaguar kaum gesehen. Er verschmolz mit der Nacht, denn die Gegend war dunkel, durch die der Arzt fuhr. Hier lagen die Häuser versteckt hinter Mauern und weiten Vorgärten. Fast wirkte dieser Teil von Chelsea sogar ein wenig ländlich.
Eigentlich führte Cliff Easton ein Doppelleben. Zweimal in der Woche war er der Arzt für Prominente und Geldmagnaten. An den anderen Tagen kümmerte er sich um die kleinen Leute, half ihnen, so gut es ging, und sein Ansehen war dadurch sehr gestiegen.
Die Prominenz empfing er in seinem Haus, wo in einem Anbau seine Praxis lag. Die zweite Praxis befand sich ganz woanders. Jenseits der Themse, in South Bank, inmitten eines Arbeiterviertels, nicht weit vom Waterloo-Bahnhof entfernt.
Der Mann mit den zwei Gesichtern, und er hatte nicht vergessen, wem er dies alles verdankte.
Logan Costello.
Wenn dieser Mafioso oder einer seiner Männer irgendein Wehwehchen hatte, eine Schußverletzung zum Beispiel, wurde Clifford Easton bemüht, dann mußte er springen. Er machte seine Sache immer ordentlich und stellte auch die entsprechenden Totenscheine für Leute aus, die auf ungewöhnliche Art und Weise ums Leben gekommen waren, weil sie Costello doch zu sehr im Wege standen.
Bisher hatte er sich immer auf den großen Mann im Hintergrund verlassen können, er hatte auch gar nicht viel über die seltsame Pille wissen wollen, nur daß sie einen Menschen veränderte, ihn zu einem Vampir machte und somit fast unsterblich.
Auch er hatte eine Pille geschluckt. Einfach weil er den Worten des Mafioso mißtraute. Er wollte selbst sehen, wie sie wirkte. Bei ihm so gut wie nicht. Ihm waren keine Eckzähne gewachsen! Er fühlte nur eine gewisse Leichtigkeit, wie jemand, der ein Glas über den Durst getrunken hatte.
Allerdings gefiel ihm überhaupt nicht, daß die Polizei bereits Blut geleckt hatte. Die beiden Yard-Beamten paßten ihm nicht in den Kram, und den Namen Sinclair hatte er ebenfalls schon gehört, allerdings nicht in Verbindung mit etwas Angenehmem. So sehr er auch grübelte, er kam nicht auf die Lösung und hatte beschlossen, seinen Sponsor anzurufen.
Der mußte ihm mehr sagen können.
An der nächsten Querstraße mußte er nach rechts ab. Es war eine Sackgasse, in der nur zwei Häuser standen.
Auf der linken Seite hatte ein Brillenfabrikant seine Villa, das Haus des Arztes lag auf der anderen.
Die Gäste hatten ihre Fahrzeuge nicht in der Sackgasse abgestellt, sondern waren durch das Tor bis auf den Platz vor dem Haus gefahren.
Den Weg durch den Garten markierten leuchtende Kugellampen, die, vom Tor her betrachtet, an eine helle Schnur erinnerten.
Das Haus war hell erleuchtet. Auch außen brannten die Lampen. Sie warfen ihre Strahlen nicht nur in den Garten, sondern tupften mit den langen Lichtfingern auch bis unter das vorgezogene Dach, das sehr tief herunterhing. Dafür war es an der Rückseite weniger steil. Die hintere Front bestand fast ausschließlich aus Glas. Im Sommer drängten sich Freunde und Bekannte danach, die Feste des Arztes mitzufeiern.
An diesem Abend war nur ein kleiner Kreis gekommen. Drei Paare und Mabel Jenkins, Eastons Sprechstundenhilfe. Auf sie war der vor drei Jahren geschiedene Arzt besonders scharf, doch bisher war es ihm nicht gelungen, das blondhaarige Wesen ins Bett zu bekommen.
Mabel hatte da ihre eisernen Prinzipien. Es wunderte Easton sowieso, daß sie zu der Party gekommen war. Normalerweise lehnte sie Einladungen von seiner Seite ab.
Ob Mabel einen Freund hatte, wußte der 40jährige nicht. Er hatte sie auch nie danach gefragt. Allerdings würde auch sie die Pille zu schlucken bekommen. Wenn sie eine andere war, würde sie es wohl bedauern,
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