021 - Aufbruch in die 'Neue Welt'
aufgefallen. Keine zwei Sätze hatte Fernaduu bisher mit ihm gesprochen.
Der Kapitaan breitete die Seekarten auf dem großen runden Tisch in der Mitte des durch den Kamin beleuchteten Raumes aus . Fernaduu stand mit auf dem Rücken verschränkten Armen etwas abseits von dem Tisch. Die verschlossene Miene des mächtigen Greises sprach Bände: Er hatte nicht die geringste Lust, sich zum wiederholten Male Colombs geplante Reiseroute erklären zu lassen.
»Das Land von dem du sprichst, wird sich als Traumland entpuppen, Kapitaan«, sagte der Alte noch bevor Colomb das Wort ergreifen konnte. »Die Legenden um Meeraka und Amraka sind so alt wie die Welt, und trotzdem hat keines Menschen Auge sie je erblickt. Sieh es endlich ein: Dort gibt es nur Meer, Meer, und noch einmal Meer. Und weiter nichts.«
Das Lautenspiel verstummte. Der Mann, der die Saiten gezupft hatte, saß nun auf einem fellbespannten Sofa neben dem Kamin. Jetzt sah er auf und lauschte interessiert.
Auch die junge Frau neben ihm hob den Kopf und sah herüber zum Tisch. Eine reizende Frau, blond und zierlich wie Ihr Vater Hugu. Sie hieß Elkie.
Tuman, Colombs Erster Lytnant, stand dem Kapitaan gegenüber auf der anderen Seite des Tisches, neben ihm der neue Steuermann, der Doyzländer.
»Du hast mir Glauben geschenkt, als ich dich vor sechs Monden in meine Pläne einweihte, Hugu Fernaduu.« Der Kapitaan sprach mit fester ruhiger Stimme. »Du hast mir Schiffspersonal gestellt, du hast mir Gold geliehen. Woher plötzlich deine Zweifel?«
»Ich habe einfach nachgedacht«, wehrte der alte Stoffhändler ab. »Gründlich nachgedacht.« Er trug einen braunen Mantel aus rauem Wissau-Leder mit einem Wakudapelzkragen.
Sein schlohweißer Bart reichte ihm bis zum Bauchnabel herab. »Die Geschäfte laufen nicht gut, ich habe Angst um mein Gold.« Seine Stimme klang heftiger als es nach Colombs Geschmack nötig gewesen wäre. »Und wenn du Schiffbruch erleidest, würde ich mir Vorwürfe wegen der zwanzig Seeleute machen, die ich dir zur Verfügung gestellt habe.«
»Die Kenntnisse sind so groß wie die auf allen anderen Schiffen.« Colomb blieb ruhig und sachlich. »Und ihr Kapitaan ist der Beste, den du an den Küsten Eurees finden kannst.«
»Woher weißt du so sicher, dass es dieses Land tatsächlich gibt?!« Fernaduu wurde laut und gestikulierte ungehalten.
»Meine Berechnungen schließen jeden Irrtum aus. Und ich habe Hinweise in uralten Schriften gefunden. Schriften der Alten aus der Zeit vor Kristofluu. Und selbst wenn es Meeraka und Amraka nicht gäbe, würde ich auf Land stoßen. Denn die Erde ist eine Kugel. Aber all das habe ich dir bereits…«
»Die Erde eine Kugel!« Der greise Fernaduu riss beide Arme hoch. »Was für eine kühne Behauptung! Wie kommst du bloß auf so etwas Verrücktes?«
»Meine Berechnungen«, sagte Colomb ruhig. Der Mann am Kamin legte seine Laute auf den Steinboden, stand auf und näherte sich dem Tisch. Ein junger Mann, nicht älter als fünfundzwanzig Winter. Auch er trug einen wertvollen Wildledermantel, Blau gefärbt. Colomb kannte ihn von den zahlreichen Treffen mit seinem Goldgeber. Cosimus hieß der Mann; er war Fernaduus Neffe. »Und wenn dieses mystische Land nun tatsächlich weiter nichts ist als ein Sagenort?«
»Sagt der Fraacaner das?« Mit unbewegter Miene und kühler Stimme schoss Colomb den Pfeil ab. Tuman tänzelte unruhig von einem Bein auf das andere. Solche Verhandlungen waren nicht die Sache des Ersten Lytnants.
Fernaduu stützte sich auf dem Tisch auf und betrachtete die Seekarten. Er räusperte sich.
»Viele sagen das.« Der Pfeil hatte ins Schwarze getroffen.
»Warum leihst du einem Halunken das Ohr, Hugu Fernaduu?«
»Halunke!« Wieder hob der Stoffhändler erregt beide Arme. »Warum soll ich mir nicht anhören, was ein Halunke wie Delleray zu sagen hat, wenn ich einem ehemaligen Piraten Gold und Mannschaft leihe?«
»Vielleicht weil ein Halunke keine Bücher liest und weniger von Geschäften und Seefahrt versteht als ein erfolgreicher Pirat.«
»Aber viele denken wie Delleray«, beteuerte Fernaduu. »Viele halten den Weg hinaus auf die Alanta-See für halsbrecherisch! Viele sind überzeugt davon, dass es Meeraka und Amraka nur in Märchen gibt…«
»Es heißt nicht ›Amraka‹ und ›Meeraka‹, bester Onkel«, mischte Cosimus sich ein. Er lächelte charmant. »Der Kontinent heißt ›Amerika‹.«
Nicht viel konnte Colomb in Erstaunen versetzen. Die unerwartete Äußerung des jungen
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