0215 - Das Ölmonster
Industrieanlagen waren leer, das heißt, es hielten sich keinerlei Arbeiter mehr dort auf, nur noch Polizei, Feuerwehr und Soldaten.
»Sie rechnen mit weiteren Angriffen«, folgerte ich.
Der stellvertretende Botschafter übernahm das Wort. »So ist es, Mr. Sinclair. Wir können einfach nicht glauben, daß dies schon alles sein soll.«
»Wobei der Angriff auf das Hotel schlimm genug war.«
»Richtig, aber damit gibt sich ElChadd nicht zufrieden.«
»Dann kann es also zur Katastrophe kommen«, formulierte ich.
»Wir haben die Ölproduktion gestoppt. Es fließt nichts durch die Pipelines in die Bäuche der Schiffe.«
»Und der Schlamm?« Ich deutete zum Hotel hinüber, wo die Männer der Feuerwehr dabei waren, den Schlamm zu beobachten. Mehr konnten sie nicht tun, sie wußten nicht, wie sie ihn stoppen sollten, zudem breitete er sich auch noch nicht aus.
»Was sollen wir machen?« fragte Agiir und hob seine breiten Schultern an. »Das ist ein Gegner, vor dem wir klein beigeben müssen. Wir sind machtlos.«
»Gibt es keine Waffen?« hakte ich nach.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir hätten uns früher darum kümmern sollen. Nun ist es zu spät. Die Katastrophe ist eingetreten und kann bestenfalls in Grenzen gehalten werden.«
»Sie meinen auf das Gebiet des Hotel hier?«
»So ungefähr.«
Ich warf Djemal Faruk einen fragenden Blick zu. Er, der sich auskannte, wußte ebenfalls keinen Ausweg. Dies war ihm deutlich anzusehen. Die Gäste hatten rechtzeitig genug fliehen können. Das Hotel war zudem nur sehr spärlich belegt. Bei einer Ausbuchung wäre es zur Katastrophe gekommen. So hatte es zum Glück nur ein Opfer gegeben, eben diese Amerikanerin, die in die Tiefe gefallen war.
»Haben Sie einen Plan?« wollte der stellvertretende Botschafter von mir wissen.
Ich legte die Stirn in Falten und schaute auf die Polizisten und das Militär. Gemeinsam patrouillierten sie durch die Stadt und würden Verdächtiges sofort melden. »Wir können uns eigentlich nur den Männern anschließen«, erwiderte ich. »ElChadd zu suchen, ist sinnlos. Er wird sich irgendwo im Wüstenboden verborgen halten…«
»Oder schon in der Stadt sein«, warf Polizeichef Agiir ein.
»Auch das.«
Djemal Faruk steckte seinen kleinen Finger in das linke Ohr. Ein Zeichen der Ratlosigkeit bei ihm. »Es ist gut«, sagte er. »Machen wir es so wie gehabt?«
»Und wie hatten wir es?« wollte Suko wissen.
»Warten wir, bis etwas geschieht. Irgendwann muß sich ElChadd ja mal zeigen.«
Ein schwacher Trost, fürwahr…
***
Sie gingen weiter!
Niemand und nichts hielt sie auf. Zwanzig lebende Tote waren im Anmarsch auf die Stadt, die sich ElChadd für seine große Rache ausgesucht hatte.
Bewaffnet waren sie nicht. Sie brauchten es auch nicht zu sein, denn ihre Kräfte waren mit denen eines Menschen nicht zu vergleichen. Wenn auf sie geschossen wurde und ihre Körper von Kugeln umpfiffen wurden, dann machte es ihnen nichts. ElChadd und seine Magie sorgten dafür, daß sie am Leben blieben.
Bereits den zweiten Tag waren sie unterwegs. Und auch dieser neigte sich allmählich seinem Ende zu. Menschen hätten das Meer sicherlich schon gerochen, die lebenden Leichen nicht.
Aber sie sahen ihr Ziel bereits.
Blutrot vom Ball der langsam sinkenden Sonne angeleuchtet, schimmerten die Türme der Industrieanlagen und neben ihnen, kleiner wirkend, die Silhouette der Stadt.
Dort lebten Menschen. Und dort genau sollte sich ihre Rache erfüllen…
***
Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn was vor uns lag, versteckt unter Kuppeln, Rundbogendächern, geschwungenen Decken, Aufgängen, Etagen und getragen von Säulen, Mauern und Pfeilen, konnte mit jedem modernen Einkaufszentrum irgendeiner Weltstadt Schritt halten.
Das Wort Einkaufszentrum hätte nicht gepaßt. Auch nicht der alte orientalische Ausdruck Basar. Es war eine Mischung aus beiden, und ich hätte so etwas nie in einer kargen Wüstenlandschaft vermutet.
Es gab alles unter einem Dach. Da hatten bekannte Weltfirmen kleine Geschäftsfilialen errichtet. Juweliere, italienische und französische Schuhstilisten, Modekönige zeigten in Schaufenstern, was der Westen zu bieten hatte, und alles eingebettet in die Pracht eines kalten weißen Marmors.
Die Gänge erreichten schon bald die Breite eines Fußballfeldes.
Rolltreppen führten in die oberen Etagen. Leise Musik drang aus versteckt angebrachten Lautsprechern und vermischte sich mit dem Rauschen und Plätschern der
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