0216 - Der Pharaonenfluch
Gott mit dem Schakalskopf. Aber in gewisser Weise war dieses Opfer anders.
Denn die Menschen, die vorher ihr Leben lassen mußten, waren samt und sonders schuldig geworden. Alle hatten ein Teil des Körpers von Ramose berührt und damit seine Totenruhe gestört. Und das vom Körper des Priesters, was das Urteil vollstreckt hatte, war durch eine unbegreifliche Macht an einem bestimmten Ort zusammengekommen, um dort wieder ein Ganzes zu werden. Eine mit menschlichem Verstand nicht zu erklärende Gewalt verhüllte es noch vor den Blicken Neugieriger. Aber dann, wenn es Ramose wollte, wenn der Schädel, das Oberhaupt der Glieder, am Ort war, dann würde sich der Leib der Mumie erneut zusammenfügen.
Längst waren all die Männer des Dorfes Kurna, die aus dem Leichnam Kapital schlagen wollten, gestraft. Man fand ihre Leichen, mit allen Zeichen des Entsetzens in den Augen. Und die Polizei stand vor einem Rätsel, denn die Mediziner konnten keine gewaltsame Todesursache feststellen. Fieberhaft arbeiteten die Mordkommissionen – ohne Ergebnis. Durch den nächtlichen Verkehr Kairos schrillten die Polizeisirenen, die zu den Tatorten fuhren. Nirgends eine Tatwaffe, keine Spuren von Strangulierungen um den Hals und die Obduktionen ergaben keine Spur von Gift in den Körpern.
Der Shaitan, meinten die gläubigen Moslems unter den Polizisten, hatte ihre Seelen geholt. Und die schmorten nun in der tiefsten Dschehenna, wo Nar, das ewige Feuer brennt und wo die verdammten Seelen die Teufelsköpfe essen müssen, die an dem Baume Zakum wachsen.
Und die Ärzte und Wissenschaftler, die mit den mysteriösen Mordfällen befaßt waren, standen vor einem Rätsel.
Das Rätsel jedoch befand sich in der Königskammer der Cheopspyramide, noch den Augen der Sterblichen verborgen. Und der Schädel des Ramose schwebte über der Wüste westlich der Pyramiden, in der Nähe von Sahara-City.
Er bemühte sich, Kontakt mit dem Gott aufzunehmen, dem er die Schänder seines Grabes geopfert hatte. War es auch nur der Kopf der Mumie, so war es doch so gut wie ein Ganzes … Dann das bleiche Licht des Mondes schien einen schleierartigen Körper zu weben, auf dem sich der Kopf niederließ. Das, was man als die Arme bezeichnen konnte, wehte gen Himmel.
Wie bei der Anrufung des Gottes in den Tagen der Alten breitete Ramose die Arme aus.
» Gott der Schatten! Führer der Toten! « rief er, ohne daß diese Worte von einem Lebendigen hätten vernommen werden können.
Aber dort, in jenem Zwischenreich, wo sich die aufhalten, deren Altäre verfallen und zu denen keine Gebete mehr emporsteigen, wurde sein Ruf gehört.
»Oh, hoher Herr Anubis, der du die Seelen gnädig geleitest in den Gefilden der Unterwelt, höre mich!« Die Stimme des Ramose nahm einen beschwörenden Klang an.
» Ich höre! « kam es von irgendwo.
»Antworte mir!« verlangte das, was einst der Priester gewesen war.
» Ich antworte! « sprach die Stimme, die aus allen Himmelsrichtungen gleichzeitig zu kommen schien.
»Erscheine mir!« forderte Ramose.
Eine Weile, die nicht mit der Zeit des Menschen gemessen wird, war es still. Kein Laut war zu hören. Selbst die Natur schien den Atem anzuhalten. Und auch der Wüstenwind schien für einen Moment eingeschlafen zu sein.
Denn kam es wie der eherne Ton einer großen Glocke.
» Ich erscheine! «
Es war wie silberner Sprühregen; wie Glitzerstaub, der durch die Lüfte segelt. Er hatte keinen Ursprung, war einfach da. Das Phänomen, was nun entstand, glich Galaxien mit Milliarden von Sternen, die von unbegreiflichen Kräften durcheinandergewirbelt werden. Ganze Spiralnebel schienen zu explodieren. Ein einziges, wirbelndes Chaos aus Geist und Materie führte über dem Boden der Sandwüste seinen grotesken Tanz auf.
Aber in dieser rasenden Unordnung war eine Ordnung, nur eben nicht die, wie sie mit den normalen Menschenverstand des zwanzigsten Jahrhunderts erfaßt werden kann. Denn der Mensch ist nur in der Lage, drei Dimensionen zu beherrschen, aber die , welche jenseits von Zeit und Raum hausen, denken in anderen Maßen, Dimensionen und Kräften.
Auch das, was von Ramoses Geist dem Leben zurückgegeben wurde, erfaßte nicht in voller Größe die Gewalten, die sich hier vor ihm manifestierten. Wohl hatte auch er das Tor des Todes durchschritten, aber es ist ein Unterschied zu jenen Gefilden, wohin die Geister derer gelangen, die sterblich waren und den Sphären, in den die schlafen, welche einst von den Sterblichen verehrt und angebetet
Weitere Kostenlose Bücher