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022

Titel: 022 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Flucht vor dem Teufel
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drüben! Sieh dir England an!"
    Roger kam herbei und ließ sich den Gischt ins Gesicht wehen. Der Wind zerzauste sein blondes Haar, und das Meer und der Himmel reflektierten sich in seinen blauen Augen. Er strahlte etwas Neues aus, das Bewusstsein von Freiheit und Abenteuer, und das entging Eleanor nicht. Ihr stockte der Atem, als sie ihn betrachtete. Du lieber Himmel, ein Mann hätte nicht so gut aussehen dürfen. Sie sehnte sich danach, sein zerzaustes Haar zu berühren und die Finger über seine Rückenmuskeln gleiten zu lassen. War er neuerdings in der Nähe, war sie sich mit allen Fasern ihres Seins seiner bewußt, und auch der Anspannung, die es unmöglich machte, wieder den früheren, unbeschwerten Umgang mit ihm zu haben. Sie riss den Blick von ihm los und konzentrierte sich auf die vor ihr aufragenden Klippen.
    „Wann legen wir an?" hörte sie ihn Walter fragen.
    „Ungefähr in einer Stunde, falls der Wind nicht abflaut."
    „Nun, Lea . . .", Roger hielt den Blick aufs Meer gerichtet, während er sie ansprach,
    „. . . noch einige Tage, und dann müssten wir in Harlowe sein. Dann kannst du beschließen, was du tun möchtest."
    „Oh, ja, unter Fremden in einem fremden Land", erwiderte sie mit bei ihr ungewohntem Sarkasmus und hätte die Worte, noch während sie sie aussprach, am liebsten ungesagt gemacht. Die beiden Männer wandten sich ihr zu. Sie ließ den Kopf hängen, um den Blicken der Männer auszuweichen. „Um Vergebung, du hast viel riskiert, um mich zu retten, und du hättest von mir etwas Besseres verdient."
    „Du hast immer noch die Wahl, Lea."
    „Nun, natürlich wird sie sich einen Gatten nehmen", äußerte Walter an ihrer Stelle.
    „Was könnte sie sonst tun?"
    „Ich kann wieder in einen Konvent gehen", antwortete sie verbittert.
    „Du?" Walter beäugte sie mit eigenartigem Ausdruck. „Nein, das wäre Verschwendung, Cousine. Du solltest einem Burgherrn Ehre machen und dich um seinen Haushalt kümmern."
    „Und im Bett eines Burgherrn liegen. Ist es das, was du meinst, Walter?" Sie wandte sich ab und ließ die beiden Männer stehen.
    „Du lieber Himmel! Was hat sie bloß?"
    „Ich vermute, sie denkt, sie sei einem Gefängnis entronnen, nur um gleich wieder in einem anderen zu landen. Beachte sie nicht. Sie ist nur ruhelos", sagte Roger.
    „Ja. Wie alt ist sie jetzt überhaupt? Neunzehn? Zwanzig?"
    „Neunzehn. Im Herbst wird sie zwanzig."
    „Mittlerweile hätte sie zwei oder drei Kinder haben sollen, damit sie ruhiger wird.
    Was sie braucht, ist ein Mann."
    „Sag ihr das." Wieder starrte Roger auf das Meer und furchte die Stirn. „Aber sie ist so klein, so schmal gebaut..." Er spreizte die Finger so weit wie möglich. „Weißt du, Frauen sterben im Kindbett."
    „Und Männer sterben im Kampf. Das eine hält Frauen nicht davon ab zu lieben und das andere Männer nicht vom Kämpfen, nicht wahr?" Gelassen schaute Walter Roger an. „Was du tun musst, ist, einfach den Mann auszusuchen und ihn meiner Cousine zu präsentieren, ohne ihr eine Wahl zu lassen. Helene kam als Fremde zu mir, und wir sind sehr zufrieden. Dein Problem ist, dass du dir zu viel Gedanken darüber machst, wie Eleanor sich fühlt."
    „Ja, das nehme ich an." Roger versank in Schweigen und beobachtete eine Zeitlang die unter ihm schäumenden Wellen. Schließlich richtete er sich auf und machte Anstalten zu gehen.
    „Wohin willst du? Wir sind beinahe da."
    „Ich will mein Geld zählen. Es gibt Dinge, die ich Eleanor in London kaufen möchte, ehe wir nach Harlowe ziehen."
    Statt sich mit Eleanor an Rufus' Hof einzufinden, wie Henry das vorgeschlagen hatte, nahm Roger in London Quartier für zwei Tage und verbrachte die Zeit damit, sich darauf vorzubereiten, dem Earl of Harlowe gegenüberzutreten. Er fand einen Schneider, der willens war, Tag und Nacht zu arbeiten, um ihn und Eleanor mit passender Kleidung auszustatten. Es würde nicht angehen, sich vor Richard de Briones Tor wie Bedürftige einzufinden, die um Hilfe baten.
    An dem Tag, an dem man London verließ, ließ Roger bei einem Goldschmied halten und kaufte ein Haarnetz aus Goldfiligran, einen Gürtel und einen silbernen Stirnreif für Eleanor und steckte die Sachen in seine Packtaschen. Er würde die Dinge entweder als Hochzeitsgeschenke verwenden oder sie ihr an ihrem Geburtstag geben. Das hing davon ab, welcher Anlaß der Erste war. Sie hatte in London so große Augen wie ein Kind gemacht, und ihm hatte es Spaß gemacht, sie auf einer Barke die Themse

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