Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

022

Titel: 022 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Flucht vor dem Teufel
Vom Netzwerk:
über den Sattelknauf und sagte zu dem alten Mann: „Wird der Graf bald zurückkommen?"
    „Ich rechne damit, dass er zurückkehren wird, sobald er meine Nachricht gelesen hat."
    Umgeben von einer hastig zusammengerufenen Gruppe von Kammerzofen betrachtete Eleanor sich in dem Spiegel, den man ihr hinhielt. Sie hatte gebadet und war in ein Untergewand aus cremefarbener Seide sowie eine Tunika aus schwerer purpurfarbener, golddurchwirkter Seide gekleidet. Sie musste sich eingestehen, dass sie ungewöhnlich vornehm aussah. Eine der Frauen hatte es geschafft, ihr das lange Haar zu bürsten, bis es den Glanz feiner Seide hatte und ihr als Symbol ihrer Jungfräulichkeit lose bis zur Taille hing. Ein geflochtener goldener Stirnreif umgab ihren Kopf und bekundete ihre hohe Geburt. Zufrieden verkündete sie: „Ich bin fertig und möchte mich in die Halle begeben."
    Aufgrund ihres Standes und in Ermangelung vornehmer Gäste würde das Abendessen auf der Estrade für sie eine ziemlich einsame Angelegenheit sein. Zwei Pagen gingen ihr voraus, während sie durch die Korridore schritt, und alle Anwesenden erhoben sich, als Eleanor die Halle des Grafen betrat. Sie spürte Dutzende von Augen auf sich gerichtet, derweil sie die beiden Stufen zum erhöht stehenden Tisch hinaufging und sich allein an die Tafel setzte. Wäre der Graf anwesend gewesen, hätte zumindest er bei ihr gesessen. Sie nahm an, dass die Förmlichkeit in einem Haushalt voller Männer zu ihrem Schutz notwendig war, doch das gab ihr an diesem fremden Ort das Gefühl der Isolation und Einsamkeit. Offen ließ sie den Blick durch die Halle schweifen und suchte nach Roger. Sie bemerkte so manchen bewundernden Blick aus der Schar der Soldaten und Knappen, die in Harlowe erzogen wurden. Selbst Roger starrte sie von seinem Platz am zweiten Tisch an.

    „So etwas wie sie habe ich noch nie gesehen!" hauchte der Bursche neben ihm beinahe verehrungsvoll.
    „Ja, auch in der Normandie wird sie sehr beachtet", erwiderte Roger trocken.
    „Ist sie deine Verwandte?"
    „Sie ist nicht vom selben Blut wie ich, aber wir wurden in Nantes wie Geschwister aufgezogen."
    „Du lieber Himmel, mit so einer wie ihr allein zu sein ..."
    „Nein, du würdest nicht wagen, sie anzufassen. Sie ist Graf Gilberts Tochter und Erbin von Nantes."
    „Und ich bin Lord Chesters Erstgeborener. Ja, ich würde es wagen. Ist sie verlobt?"
    Roger bemerkte, wie eifrig der junge Mann sie anstarrte, und das gefiel ihm nicht.
    „Ja", antwortete er leise. „Sie wird bald heiraten."
    „Wie schade!" Widerwillig riss der Bursche den Blick von Eleanor los und sah Roger an. „Ja, ich hätte meinen Vater gebeten, mir so eine wie sie zu geben." Er verengte die Augen und furchte die Stirn, während er seinen Tischnachbarn betrachtete. „Du bist von Graf Richards Blut?" „Ja."
    „Ich bin Rannulf of Chester."
    „Und ich bin Roger, Herr der Condes, durch Lehnspflicht gegenüber Robert Courteheuse, Herzog der Normandie."
    „Ich würde hier nicht laut über Courteheuse reden. Wir sind Rufus' Männer."
    Roger zuckte mit den Schultern. „Für mich macht das keinen großen Unterschied, Rannulf of Chester. Courteheuse hat mir nur gegeben, was ich verdiente. Ich habe zuerst dem alten Eroberer gedient und war mit ihm in Mantes, ehe er starb."
    „Du siehst zu jung für einen solchen Dienst aus", meinte Rannulf skeptisch.
    „Ja, aber ich wurde bereits im Alter von fünfzehn Jahren in das Gefolge des Eroberers aufgenommen. Im letzten Monat habe ich meinen dreiundzwanzigsten Geburtstag gehabt."
    Ehe der andere Mann ihm mit Fragen über den alten William zusetzen konnte, wurde Rogers Aufmerksamkeit von einer in der Halle verspätet eintreffenden Person angezogen. Ein hoch gewachsener Mann in einem prächtigen Waffenrock, den er über der Rüstung trug, war hereingekommen und schlug mit gebieterischer Ausstrahlung den Weg zu dem erhöht stehenden Tisch ein, an dem Eleanor saß. Sein braunes Haar war leicht ergraut, doch sein Schritt immer noch der eines Mannes in den besten Jahren. Roger starrte ihn so fest an, als wolle er, dass dieser den Blick senke.
    „Steh nicht auf, Demoiselle", sagte der Neuankömmling zu der überraschten Eleanor. „Entschuldige, dass ich so spät eingetroffen bin, aber ich war lange unterwegs."
    Eleanor zuckte zusammen, errötete und wurde dann bleich. „Heilige Mutter Maria!"
    Unwillkürlich schaute sie zu Roger.
    „Ich bin Richard de Brione", stellte der Graf sich vor, während er in die

Weitere Kostenlose Bücher