022
„Er verlässt uns. Der Hurensohn verlässt uns."
Roger ignorierte ihn und ging zu Eleanor. Der Ausdruck in seinen blauen Augen wurde merklich weicher. „Ich muss fort, Lea, aber ich werde dich in Rouen wiedersehen. Nichts hat sich geändert, außer dass ich jetzt mit Henry reiten werde."
„Ja, ihm liegt mehr an seinem hoch geborenen Prinzen als an mir!"
„Lea, du hast mich doch begriffen, nicht wahr?"
„Ja. Nein . . ." Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich kann mich Belesme in Rouen nicht allein stellen."
„Lea . . ." Roger ergriff ihre Hand. „Ich kann hier nicht offen sprechen. Komm mit mir nach unten, ehe ich aufbreche."
Hinter ihm fuhr Gilbert fort, seinem Ärger Luft zu machen: „Ich habe dir und dieser angelsächsischen Hure ein Heim gegeben, und so zahlt ihr es mir zurück! Sie hat sich in einen Konvent zurückgezogen, und du verweigerst mir deine Unterstützung! " Als er merkte, dass seine Worte kaum Wirkung zeigten, hob er die Hand zum Schlag.
„Hör zu, wenn ich mit dir rede!"
Roger duckte sich, während er herumwirbelte. „Schlag mich, Gilbert de Nantes, und, bei Gott!, du wirst meine Hand zu spüren bekommen."
„Bastard!" zischte Gilbert ihn an.
„Ja", stimmte Roger ruhig zu, „und alles, was ich geworden bin, habe ich mir und Lea zu verdanken. Halte du mir nicht vor, was du für mich getan hast."
„Lea! Es ist immer Lea!" knurrte Gilbert. „Bist du diesmal hergekommen, weil ich dich darum bat, oder bist du ihretwegen hergekommen?"
„Ihretwegen."
„Bist ein Narr", spottete Gilbert. „Denn ich bezweifele, dass du sie je wiedersehen wirst, sobald sie bei Belesmes ist."
„Was für eine Art Vater bist du?" Rogers Stimme hatte leise und verächtlich geklungen.
„Und was für eine Art Bruder bist du? Ja, denkst du, ich hätte keine Augen im Kopf, Junge?"
„Gilbert ..." Warnend furchte Roger die Stirn.
„Q ja, ich weiß. Bis jetzt war ich blind, doch nun kann ich sehen", brummte Gilbert.
„Du würdest mit deiner eigenen Schwester schlafen."
Hinter den beiden Männern schnappte Eleanor nach dieser Bezichtigung nach Luft.
Roger wurde weiß, und ein Muskel an seinem Kinn zuckte, weil er sich bemühte, sich zu beherrschen. Unwillkürlich ballte er die Hände, als er auf Gilbert zuging.
„Beachte ihn nicht, Bruder", bat Eleanor, „denn er weiß nicht, was er sagt."
„Ich weiß", äußerte Gilbert beharrlich. „Ja, ich weiß."
„Lea, ich kann hier nicht bleiben, selbst wenn ich das wollte. Du kannst sehen, dass es nicht dienlich wäre. Ich reite mit Henry bis nach Rennes, und dann ziehe ich zu meinen Ländereien. Ich sehe dich in Rouen wieder . . .", Rogers Blick traf Gilberts über Eleanors Kopf hinweg, „. . . noch vor der Verlobung."
„Roger . . . bitte!"
„Nein, Lea, kommst du mit mir nach unten oder nicht?" Er wandte sich zur Tür.
Sie gab sich geschlagen. Das, worüber er und Gilbert auch gestritten haben mochten, ehe sie heraufgekommen war - es hatte seine Entscheidung bestimmt.
Nichts, was sie sagte, würde ihn davon abhalten, Nantes zu verlassen. Verbittert wandte sie sich dem Grafen zu. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so verderbten Sinnes bist. Siehst du, was du angerichtet hast?" Anklagend sah sie ihn an. „Du ekelst mich an."
„Frag ihn, was er von dir will, Tochter. Frag ihn, warum er den Narren für dich abgibt."
„Weil ich seine Schwester bin", erwiderte sie über die Schulter, während sie Roger folgte.
„Bist die größere Närrin, Eleanor. Das kannst du mir glauben."
„Roger, warte!"
Sie fand ihn am Fuß der Wendeltreppe wartend vor, mit besorgter Miene. Sie streckte die Hände nach ihm aus, nur um von ihm fest an den Ellbogen ergriffen und zurückgeschoben zu werden.
„Bruder, verlass mich nicht! Ich kann Graf Robert nicht allein entgegentreten!"
„Lea, ich muss fort." Rogers Griff um ihre Ellbogen war beinahe schmerzhaft.
„Ist es wegen gestern Abend? Ich schwöre, dass Prinz Henry und ich schuldlos sind, Roger, und nichts zwischen uns passiert ist."
„Nein, das ist es nicht, wenngleich ich froh bin, dass er abreist."
„Dann ..."
Roger schaute in ihr ihm entgegengerecktes Gesicht mit den dunklen Augen, in denen Tränen schimmerten. Sie war schön, zärtlich und vertrauensvoll, und so Gott wollte, würde sie eines Tages die Seine sein.
„Du hast gehört, was Gilbert gesagt hat", antwortete er schließlich.
„Aber..."
Seine Hände glitten zu ihren. „Lea, ich bin noch immer dein Streiter, durch
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