0221a - Ich kam in letzter Sekunde
»Bei einem guten Freund von mir liegt ein Brief. Er wird ihn abschicken, wenn du nervös werden solltest. Was dann?«
Der Trick ist ebenso alt wie primitiv, aber wer weiß schon, ob so ein Brief nicht wirklich existiert?
Gip knirschte mit den Zähnen und überlegte, wie es weitergehen sollte.
»Im Übrigen habe ich Jack Bark nicht umgebracht«, ließ sich der Fremde vernehmen. »Das hat der Mann besorgt, der mit den Bucks auf und davon ist. Wir sind eben alle ein bisschen zu spät dran. Wenn du mich nicht aufhalten würdest, könnte ich ihn vielleicht noch einholen. Ich weiß, wo er zu finden ist, und ich wäre auch gar nicht abgeneigt, dich an dem Geschäft zu beteiligen. Entschließe dich schnell, oder meinst du, ich würde mit den anderen auch noch teilen?«
»Billige Ausreden«, sagte Gip wegwerfend.
»Na, dann eben nicht. Ich kann dich nicht hindern, großzügig auf 20 000 Bucks zu verzichten.«
Der Glatzkopf benagte seine Unterlippe mit den Zähnen. Die Stimme des Mannes klang ziemlich selbstsicher, trotz der ungemütlichen Situation, in der er sich befand. Vielleicht war doch etwas an der Geschichte. Viel Zeit zum Überlegen hatte er nicht.
Er musste sich rasch entscheiden.
»Hast du eine Waffe bei dir?«, fragte er den Fremden zögernd. Der verneinte.
Von oben herab drangen die Stimmen Mikes und Lesters.
»Entscheide dich!«, drängte der Fremde.
»Komm«, flüsterte Gip. »Du kannst dich umdrehen.« Als sie die Haustür leise hinter sich zudrückten, hörten sie das Heulen von Polizeisirenen.
***
»Kümmere dich um Brant, du Narr!«, brüllte Mike. Er legte sich keine Zurückhaltung mehr auf, nicht einmal in der Lautstärke. Lester hingegen war diese stereotype Anrede so gewohnt, dass er kehrt machte und wieder nach oben ging.
Der junge Mann saß noch immer in einem Sessel und starrte auf den Toten.
Er begriff überhaupt nichts mehr.
»Komm«, sagte er, »der Boss will dich sehen. Geht dir mächtig an die Nerven, ja? Es ist der dritte Mord mit diesen Messern. Bei den letzten beiden weiß ich ganz genau, dass du es nicht gewesen sein kannst. Reiß dich zusammen.«
Cliff blickte auf.
»Wieso der dritte?«
»Na ja«, sagte Lester, »gestern ist in deiner Wohnung ein Detective auf die gleiche Weise getötet worden. Die Cops glauben, du hättest es getan. Kennst du eigentlich diesen alten Mann?«
Er wies auf den Toten. Cliff schüttelte den Kopf. Er wagte nicht mehr, die Leiche anzusehen.
»Wer ist das eigentlich?«, flüsterte er heiser. Lester kam nicht dazu, eine Antwort zu geben.
Mike Carson erschien in der Tür.
»Wie lange wollt ihr eigentlich noch Volksreden halten? Nimm dies Nervenbündel mit und kümmere dich darum, dass er keine Dummheiten macht. Ich will den Burschen finden, der uns diesen Streich gespielt hat, und ich wette darauf, dass er noch hier im Hause steckt. Hinaus kann er nicht, unten an der Haustür steht Gip und wird ihn aufhalten.«
Sie durchsuchten den zweiten Stock. Sie durchsuchten das altmodisch eingerichtete Schlafzimmer gründlich. Nichts.
In den anderen Räumen lag eine fingerdicke Staubschicht auf Fußboden und Möbeln.
Im ersten Stock setzten sie ihre Suche fort. Ohne Ergebnis. Wütend stapfte ihnen Mike voran ins Erdgeschoss. Hier hätte eigentlich Gip auf seinem Posten stehen müssen.
»He, Gip!«, rief der Boss leise.
Keine Antwort. Er versuchte es noch einmal. Gip rührte sich nicht.
Eine böse Ahnung beschlich Mike Carson.
Sie bestätigte sich, als er die Klinke der Haustür berührte. Sein Argwohn hatte nicht getrogen. Gip war verschwunden und hätte sie hier allein gelassen. Allerdings hatte Mike keine Ahnung, was wirklich vor sich gegangen war. Er glaubte, der Kahlkopf habe ganz einfach seihe schon langgehegte Absicht verwirklicht.
Mike Carson schluckte seine Wut hinunter. Sein bisschen Verstand sagte ihm, dass es höchste Zeit sei, dieses Haus zu verlassen. Aber er hatte noch einen Gedanken, der ihm genial erschien.
»Gehen wir wieder hinauf«, sagte er schleppend. »Gip hat uns im Stich gelassen. Hoffentlich wird er froh dabei.«
Jetzt begann Lester zu meutern.
»Willst du dir den leeren Geldschrank noch einmal anschauen, Mike? Du wirst keinen Cent darin finden, ich habe genau nachgesehen. Was sollen wir also noch oben? Wir verschwinden.«
»Halts Maul«, erwiderte Carson grob.
Der Lauf der Webley zeigte die Treppe hinauf. Lesters Verstand arbeitete schwerfällig. Er war es gewohnt, andere für sich denken zu lassen. Obwohl sein
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