0222 - Schlucht der stummen Götter
mußte er den Mast aus der Verankerung reißen.
Vielleicht hatten die anderen trotz allem Angst vor mir und mich sicherheitshalber angebunden.
Auf dem Schiff wurde es ruhig. Die Stimmen schliefen ein, niemand sprach ein Wort, jeder wartete auf das große Ereignis, auf die endgültige Vernichtung eines Feindes.
Das blaue Skelett, das mich bisher genau betrachtet hatte, drehte sich jetzt und schaute zu Kalifato hoch.
»Das ist unser größtes Opfer!« rief der Knöcherne seinem Herrn und Meister entgegen. »Nimm es an, großer Kalifato, damit du siehst, wie treu wir auf deiner Seite stehen.«
Der gewaltige Dämon gab keine Antwort. Ich hatte mich ein wenig erholt, zerrte an meinen Fesseln, aber sie waren zu fest gebunden, als daß ich eine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.
Ich blieb in der Haltung. An meine Waffen konnte ich ebenfalls nicht heran, und jetzt erschien mir die Fesselung in einem anderen Licht. Die hatten genau gewußt, was sie taten, denn mit meinem Kreuz hätte ich unter Umständen einen Erfolg erringen können. Ich fragte mich auch, aus welchem Grunde man mir die Waffen nicht einfach abnahm, doch man ließ mir die Beretta, den Dolch, das Kreuz und den Bumerang. Wahrscheinlich sollte alles mit mir verschwinden, eintauchen in die Dimension des Schreckens, wo es dann nie mehr gesehen wurde.
Wenn es tatsächlich so war, dann brauchten sich die Großen Alten auch nicht vor meinem Kreuz zu fürchten. Diese Annahme bereitete mir mehr Angst als meine eigene Lage, denn so sah die Zukunft verdammt miserabel für mich aus.
Einer der Männer verließ die linke Reihe, bückte sich und öffnete den Deckel eines kleinen Kastens. Als der Mann wieder in die Höhe kam, hielt er ein Messer in der Hand.
Es war eine Waffe, bei deren Anblick man Angst bekommen konnte. Die sehr lange spitze Klinge, ein wenig gebogen und dafür vorgesehen, Fische rasch und sicher zu zerteilen.
Unbewegt war das Gesicht des Mannes, als er auf das Messer schaute, dann den Arm hob und Suko die Waffe zuschleuderte, die dieser geschickt auffing.
Zwei Schritte machte der Chinese. Dann stand er vor mir. Er hatte den rechten Arm halb erhoben, die Klinge befand sich zwischen seinem und meinem Gesicht, und ich sah rechts und links vor mir die Augen meines Partners.
Da war kein Erkennen zu lesen, kalt und starr blickten die Pupillen. Er schaute mich an, als wäre ich für ihn ein völlig Fremder.
Ich öffnete den Mund und versuchte, seinen Namen zu sagen, aber ich bekam keinen Ton hervor. Nicht einmal ein müdes Krächzen, ich war zu fertig.
Hatte ich mich getäuscht? Sollte ich doch nicht Kalifato geopfert werden, sondern hatte man Suko als meinen Mörder bestimmt?
Beim Gedanken daran zog sich mein Magen zusammen, als hätte ich eine bittere Säure getrunken.
Ich dachte an eine ähnliche Situation. Damals hatte mich mein Freund Bill Conolly töten wollen. Allerdings war er nicht in den Bann der Schattenwesen geraten, ihn hatte man nur durch Erpressung dazu gebracht, mir die Mündung einer Waffe an die Stirn zu drücken.
Und jetzt Suko mit dem Messer.
Er richtete seinen Arm aus. Ich schaute jetzt haargenau auf die Spitze. Sie befand sich nur noch eine Handbreite von meinem Gesicht entfernt. Wenn Sukos Hand zuckte, konnte er meinen Kopf durchbohren.
Ich starrte ihm in die Augen. Versuchte dabei, ihm mit meinem Blick ein Zeichen zu geben, aber der Chinese reagierte überhaupt nicht darauf, statt dessen hörte ich, wie das Skelett einen Zischlaut ausstieß, sah, daß Suko den Kopf drehte und nickte.
Hatte das blaue Skelett den Mordbefehl gegeben?
Unbeschreiblich waren meine Gefühle. Sie vereinigten sich in meinem Innern zu einem Chaos, und es war auch die Angst, die wie ein loderndes Feuer in mir brannte.
Suko stieß nicht zu. Er hatte einen anderen Auftrag bekommen, schritt um den Mast herum und gelangte in meinen Rücken, was mir ebenfalls nicht gefiel, denn nun konnte mir mein Freund das Messer zwischen die Rippen stoßen.
Er tat es nicht.
Dafür machte er etwas anderes. Er löste mir die Fesseln. Ich spürte die Berührung der flachen Messerseite an meiner Haut und merkte auch den Ruck, mit dem mich Suko vom Mast losschnitt, ohne mich dabei zu verletzen.
Die Hände waren nach wie vor gebunden, ich war auch noch kraftlos und fiel nach vorn.
Mit den Knien schlug ich auf, wobei es mir unter großen Mühen gelang, auch so hockenzubleiben und nicht aufs Gesicht zu fallen, denn noch mehr demütigen wollte ich mich vor den anderen
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