0224 - Nur der Satan kennt Manhattan
dass ich entlassen werden soll. Vielleicht glaubte dieser jemand sogar, ich wäre schon raus. Natürlich, so muss es gewesen sein! Jemand will die Geschichte mir in die Schuhe schieben.«
»Sicher«, sagte Neville kalt. »Clifford ist mal wieder der Unschuldige. Das kenne ich ja. Du warst ja immer unschuldig wie ein neugeborenes Osterlamm.«
Clifford drehte sich abrupt Neville zu.
»Hören Sie, Mister Neville«, sagte er härter als vorher. »Ich habe mit dieser Sache nichts zu tun. Aber ich werde mich umhören, darauf können Sie sich verlassen. Ein paar alte Bekannte habe ich noch in der Stadt. Und ich werde herausfinden, wer mich da aufs Kreuz legen will. Wenn Sie so ein brennendes Interesse an der Sache haben, kommen Sie heute Abend um halb elf in die Fletcher Street. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Stelle, wo wir uns das erste Mal begegnet sind?«
»Auf den Millimeter genau«, sagte Neville. »Solche Begegnungen vergisst man nicht…«
»Eben«, sagte Clifford. »Heute Abend um halb elf. An der alten Stelle!«
»Ich werde da sein«, versprach Neville.
Und dabei schoss ihm der Gedanke durch den Kopf: Damals musste Buck innerhalb von zwölf Stunden nach dieser Begegnung daran glauben. Wen wird es diesmal erwischen? Aber er schüttelte gleich den Kopf und dachte: Blödsinn! Ich werde wirklich alt.
Dabei war seine Vorahnung gar nicht so falsch…
***
Als Neville gegen zwei Uhr ins Distriktgebäude zurückkam, lief er dem Einsatzleiter in die Arme.
»Scheußlich«, brummte Neville. »Hab den ganzen Vormittag beim Zahnarzt gesessen. Eine richtige Kugel im Arm ist mir lieber als so ein verfluchter Zahn. Man kann die Wände raufgehen.«
Der Einsatzleiter klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter.
»Ja, Neville, wem sagen Sie das? Ich habe auch dauernd Scherereien mit den Zähnen. Wir werden nicht jünger, Neville. Die Reparaturen an unserem Körper häufen sich.«
»Kann man wohl sagen«, nickte Neville.
Als er wieder in seinem Office, saß, lehnte er sich weit in seinem Stuhl zurück und fuhr sich mit der Hand durch sein eisgraues Har.
Wie war doch die Geschichte damals mit dem »Grünen« gewesen? Es war schon so lange her, aber Neville erinnerte sich, dass irgendetwas Besonderes gewesen war, als man die Leiche dieses G-man gefunden hatte. Was war es nur gewesen?
Lange Zeit grübelte er, aber er kam nicht mehr darauf. Schließlich erhob er sich ächzend. Nein, man war wirklich nicht mehr der Jüngste. Sogar das Gedächtnis ließ einen schon im Stich. Er tauchte wieder im Archiv auf.
»Hör mal, Guy«, sagte er zu Wolters. »Ich brauche noch eine alte Akte. Eine Personalakte. Von einem Kollegen, der 1935 erschossen wurde. Buck hieß er mit Vornamen. Ich komme und komme nicht auf seinen Nachnamen. Wir nannten ihn immer nur den ›Grünen‹, weil er ewig ein grünes Jackett trug…«
»Ich werde mal in der Liste nachsehen«, sagte Guy Wolters ernst.
Schon nach kurzer Zeit kam Guy Wolters mit einer verhältnismäßig dünnen Akte zurück.
»Buck Tinbrook«, sagte er und legte die Akte auf den Tisch. »Hier, Neville, das ist er: Buck Tinbrook. Erschossen von unbekannten Gangstern in der Downtown.«
»Ja«, murmelte Neville und sah auf die Akte. »Ja…«
Seine Finger strichen über den verstaubten, vergilbten Aktendeckel. In der dünnen Staubschicht hinterließen die Finger deutlich sichtbare Spuren. Eine ganze Weile stand Neville vor dem Tisch und sah die dünne Mappe an, die das Schicksal eines Mannes aufgezeichnet hielt, eines Mannes, der im Kampf gegen das Gangstertum gefallen war wie so viele seiner Kollegen.
»Okay«, sagte Neville plötzlich hart. »Ich bring sie wieder rauf, wenn ich sie nicht mehr brauche.«
»Das ist schon in Ordnung, Neville«, nickte Guy Wolters und unterdrückte die neugierige Frage, die ihm auf der Zunge lag.
Wenn diese Geschichte wirklich wieder ausgegraben werden sollte, so dachte Wolters, dann werde ich es noch früh genug zu hören kriegen. Jetzt will ich Neville lieber in Ruhe lassen. Sieht verdammt so aus, als ob er damals mit der Sache zu tun gehabt hätte. Sein Gesicht hat so einen harten Ausdruck…
Neville kehrte in sein Office zurück, schloss sich ein und zog den Schlüssel von innen ab, sodass es aussehen musste, als hätte er das Office verlassen. Er zog sein Jackett aus und wickelte das Telefon darin ein. Danach schob er seinen Stuhl vom Schreibtisch zurück, legte die Füße auf die Schreibtischplatte und nahm die Akte Buck Tinbrook auf
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