023 - Das Kastell der Toten
importiert.«
»Bei Castel Montsalve würde das eine Menge Arbeit machen. Es sind sehr schwere Steine. Und sie sind fest gegründet.«
»Das sieht man. Sag mal, ist das etwa eine echte Zugbrücke?«
Tessa nickte lächelnd. Sie hatten inzwischen die Zufahrt zum Schloss erreicht, gleichsam seine friedliche Seite. Auch hier wand sich die Straße durch eine kahle, wildromantische Felsenlandschaft. Rechts gab es eine hohe Bruchsteinmauer, hinter der die Baumkronen eines Parks rauschten. Spärliches, staubig gelbes Gras und wenige Büsche säumten den Weg, und der Graben, der das Schloss auf dieser Seite sicherte, wurde tatsächlich von einer uralten und schweren Zugbrücke überspannt.
Dave ging unwillkürlich mit dem Tempo herunter. Staub wallte unter den Rädern des Wagens, nur die Brücke war offenbar sehr sorgfältig gefegt. Links und rechts verschwanden dicke rostige Eisenketten in dem riesigen Torbogen. Als Dave den Wagen in den Schatten der gewölbten Decke steuerte, konnte er über sich die bedrohlichen Spitzen eines Fallgitters erkennen, das jetzt hochgezogen war und in früheren Zeiten den Bewohnern dieser Burg als zusätzliche Sicherung gedient haben mochte.
»Es ist alles noch, wie es war«, sagte Tessa leise. »Wenn einer meiner Vorfahren wieder auferstände, würde er nichts verändert finden. Schau — dieser Brunnen ist viele hundert Jahre alt und spendet immer noch Wasser.«
Der Brunnen, den sie meinte, lag auf der linken Seite eines großen quadratischen Innenhofes, der von hohen, düsteren Gebäuden begrenzt wurde. Ein paar Katzen huschten über das holprige Pflaster. Die Strahlen der Abendsonne fielen schräg ein, vergoldeten die Türme und Zinnen, aber sie konnten nicht mehr bis auf den Grund des Hofes gelangen.
Dave ließ den Wagen im Schatten ausrollen. Noch hatte er kein Anzeichen dafür entdeckt, dass das Schloss bewohnt war. Der Hof schien den Katzen zu gehören. Sie lagen auf Mauerecken, in Fensternischen, sie huschten wie lautlose Schatten umher. Eine von ihnen, ein großes getigertes Tier mit grünen Augen, wandte nur kurz den schönen Kopf zu ihm und fuhr fort, aus einer flachen Tonschale zu trinken.
Die vielen Wasserschalen fielen Dave erst jetzt auf. Sie waren gefüllt — also musste zumindest jemand zu Hause sein. Dave blickte sich um, ließ seinen Blick über die tiefen, bogenförmigen Fenster gleiten — aber im nächsten Moment wurde seine Aufmerksamkeit abgelenkt.
Eine Tür öffnete sich.
Eine Gestalt trat auf den Hof hinaus — ein junger Mann in engen schwarzen Hosen und einem dunkelroten Seidenhemd. Dave schätzte ihn auf Anfang Zwanzig, eher jünger, und was ihm als erstes an dem Burschen auffiel, war seine ungewöhnliche Schönheit.
»Der Hausdiener«, sagte Tessa auf seinen fragenden Blick leichthin. Und lauter: »Komm hierher, Marcello. Bring die Sachen ins Haus!«
Der Junge kam näher.
Er hatte das Gesicht eines Botticelli-engels unter tiefschwarzem gelocktem Haar. Lange, seidige Wimpern beschatteten die dunklen Augen, um seinen Mund lag ein seltsam schwermütiger Zug. Mit einer stummen Verneigung ging er an Tessa und Dave vorbei, bemächtigte sich des Gepäcks aus dem Wagen und steuerte wieder auf die schwere Holztür zu.
Tessa folgte ihm und zog Dave mit sich. Kühler Schatten empfing sie. Die Tür fiel hinter ihnen zu, mit einem dumpfen, endgültigen Geräusch, und Dave sah sich im Halbdämmer einer riesigen Halle um.
Vorhänge und schwere Gobelins bedeckten die Wände. Für die alten Möbel, die wuchtigen Schränke und die kunstvoll geschnitzten Sessel hätte vermutlich jeder Antiquitätenhändler ein Vermögen bezahlt. Dave verstand ein wenig von diesen Dingen — und er blieb fast ehrfurchtsvoll mitten im Raum stehen und ließ seinen Blick schweifen.
Eine helle Stimme riss ihn aus der Verzauberung.
»Hallo, Tessa! Da bist du ja! Und wen hast du mitgebracht?«
Dave wandte den Kopf ... und hätte beinahe einen überraschten Pfiff aus-’ gestoßen.
Zwei Mädchen erhoben sich von einer Sitzgruppe im Halbdunkel. Mädchen, die auf den ersten Blick genauso wenig in diese Umgebung zu passen schienen wie Tessa selbst. Und doch — irgendetwas war in ihren Bewegungen, ihren Augen, ihrem Lächeln, das auf eigentümliche Weise mit der Atmosphäre des Ortes harmonierte.
Tessa stellte ihre Schwestern vor: Anna und Francesca de Conti Anna war die älteste: streng und schlank und dunkel, das Haar zum Knoten geschlungen, das Gesicht von kühler, marmorner Schönheit.
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