023 - Der Flug der Phaeton
und hielt ihn zwischen seinen dicken Wurstfingern zu Don Jaime: »Wollen wir die Kinder tauschen?«
Lange und schweigend sah ihn Don Jaime an. Endlich flüsterte er: »Ist so etwas wirklich von Bedeutung in unserer Lage? Denk doch an unsere Begegnung – und daran, was du dem Jungen mit dieser Geste antust!«
Sejf sah den Jungen an und bemerkte die Tränen, die langsam wieder die großen Augen füllten. In einer plötzlichen Gefühlsaufwallung drückte er den Jungen fest an sich und streichelte ihm beinahe zärtlich über den Kopf.
»Nein, du hast Recht. Das hat alles keine Bedeutung mehr! Hatte es eigentlich nie, wenn ich es recht bedenke …« Dann legte er vorsichtig den Gurt um sie beide.
Da sein Sitzplatz nun besetzt war, blieb Chan nichts weiter übrig, als zurück ins Cockpit zu stolpern. Hier waren alle viel zu beschäftigt, um von seinem Auftauchen Notiz zu nehmen. Nur die blonde Stewardess sah ihn erfreut an, während sie große, dampfende Kaffeetassen an die Besatzungsmitglieder verteilte.
»Möchten Sie auch einen Kaffee, Mister Chan? Die Kaffeesynthesizer haben das Manöver glücklicherweise überlebt.«
Chan lächelte der Stewardess zu und wandte ihr das rechte Profil seines runden Gesichts zu, das – wie er meinte – noch schöner als der Rest seines vollendeten Antlitzes war. Er fand, sie hatte es verdient. »Nennen Sie mich Haiko, und ja, ich hätte auch gern eine Tasse.«
Die Stewardess errötete unter ihrer blonden Strähne, die ihr abermals ins Gesicht hing, und streckte ihm eine Tasse entgegen, wobei sich ihre Jacke wieder öffnete. Das Schillern ihres Tops spiegelte sich im Kaffee. Sie sah ihm tief in die Augen.
»Bitte nennen Sie mich Tanja! Sie brauchen nur zu rufen, wenn ich etwas für Sie tun kann!«
Lächelnd nahm Chan die heiße Tasse und sich vor, dieses Angebot bei nächster Gelegenheit wahrzunehmen.
Jean, der Ortungsoffizier, unterbrach abrupt seine angenehmen Gedanken.
»Die Pyramidenformation hat nun die Erde fast erreicht! Das Aufblitzen in der Ortung zeigt, dass sie systematisch alle Satelliten zerstören!«
»Gibt es denn keinen Widerstand?«, knurrte Chandler.
»Ein paar atomare Raketen wurden vom amerikanischen und vom asiatischen Kontinent abgefeuert; die meisten haben die Invasoren allerdings gar nicht erreicht, sondern wurden noch im Anflug zerstört. Drei haben die Raumschiffe getroffen, aber genauso wenig angerichtet wie auf dem Mond«, erläuterte Jean mit resignierender Stimme. »Die Raumer haben also ebenfalls Schutzschirme. Jetzt teilt sich die Flotte auf. Kleinere Verbände umkreisen die Erde und gehen tiefer. Da, ein terranisches Raumschiff versucht zu fliehen … Oh, mein Gott, sie haben es ohne Vorwarnung abgeschossen! Hoffentlich waren es Konzernmanager auf der Flucht. Und jetzt … Orangefarbene Strahlbahnen leuchten überall auf der Erde auf. Mein Gott, sie zerstören die Erde!«
Chan hastete zu dem nächsten Bildschirm. Tatsächlich, an vielen Stellen der Erde stiegen plötzlich dichte Rauchwolken auf!
Lähmendes Schweigen herrschte im Cockpit. Entsetzt sahen alle auf die Ortungsmonitore.
»Vielleicht hat die Erde doch noch Glück«, warf Chandler mit brüchiger Stimme ein, musterte intensiv den Monitor vor sich und rief mit schnellen Tastendrücken Daten ab. »Die Explosionsherde stimmen mit den Konzernzentralen überein. Sie zerstören systematisch die Konzernstrukturen und Kommunikationszentralen. Es sieht also so aus, als wollten sie die Erde nicht zerstören, sondern übernehmen, sonst würden sie nicht so vorsichtig vorgehen.«
»Vorsichtig?«, schrie Jean empört. »Da unten sterben Hunderttausende, vielleicht Millionen!«
»Wenn sie es wollten, würden Milliarden sterben, wie auf Shan«, warf Chan ein. »Ich denke, Chandler hat recht; sie wollen die Erde erobern und nicht zerstören.«
Greifbare Stille lag in der Kommandokuppel. Die Besatzung sah Chandler an. Alle warteten darauf, dass er ihnen sagte, was zu tun sei.
Chandler stierte seine Pfeife an, die zum ersten Mal ausgegangen war. Plötzlich hob er seinen Kopf. Seine Stimme war unverändert.
»Für die Erde können wir nichts mehr tun, wohl aber für die Passagiere. Wir können, überfüllt wie wir sind, höchstens ein paar Tage mit unseren derzeitigen Vorräten im All bleiben, dann müssen wir einen Planeten anfliegen. Aber wohin?« Chandler sah die Anwesenden der Reihe nach an. »Zur Erde weiterzufliegen wäre Wahnsinn. Und die große Mondstation ist zerstört, es führt also
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