0230 - Heroin für Gangsterarme
Tilbrook die Summe des in dem Umschlag steckenden Geldes. Tilbrook sah in seinem Notizbuch nach und nickte.
Um halb zehn brummte Coughes: »Wer fehlt?«
»Stanislaus Potenkusch.«
Coughes schob nachdenklich die Unterlippe vor. Eine ganze Weile stierte er stumm vor sich hin. Schließlich zeigte er mit dem Finger auf Humming und Hagerts.
»Ihr regelt das. Auf der Stelle! Wenn wir einen damit durchkommen lassen, zahlt nächste Woche überhaupt keiner mehr. Ihr wißt, was ihr zu tun habt. Aber tut es gründlich!«
Die beiden Gangster standen auf. Es sah aus, als ob sie sich über diesen widerlichen Auftrag sogar freuten.
***
Vier Tage lang hatte ich mich im Ungarnviertel herumgetrieben. Ich hatte mit ungefähr 30 Familien in diesen Tagen gesprochen. Es waren biedere, ehrliche Leute, mit denen ich gesprochen hatte. Aber auch Leute, die den Terror in nahezu allen seinen Erscheinungen kannten. Sie waren erst vor wenigen Jahren in die Vereinigten Staaten gekommen. Im Hafen hatte sie die Freiheitsstatue begrüßt. Die Fackel der Freiheit, hoch in den Himmel über ihrer neuen Heimat gereckt, mußte ihnen wie das Symbol eines neuen, glücklichen Lebens erschienen sein.
Trotzdem hatten sie es nicht leicht gehabt. Die wenigsten von ihnen sprachen amerikanisches Englisch. Sie gaben sich alle verzweifelte Mühe, es zu lernen, aber manche brachten es nie weiter als bis zu einem Gestammel, das man halbwegs verstehen konnte. Sie schufteten wie die Pferde, um sich das nötigste anzuschaffen.
Allmählich fanden sie besser bezahlte Jobs. Mit der Zeit war es aufwärtsgegangen. Reich oder auch nur wohlhabend wurde unter 1000 einer. Aber die meisten kamen doch allmählich zu einem Punkt, wo ihnen das Leben wieder lebenswert erscheinen konnte. Nicht daß sie im Überfluß gelebt hätten. Nein. Sie mußten mit den Dollars rechnen, wie Millionen anderer amerikanischer Bürger damit rechnen mußten. Aber sie hatten endlich ihr Auskommen, brauchten nicht zu hungern und konnten sich gelegentlich ein kleines Vergnügen leisten.
Und dann lernten sie im Laufe der Freiheit wieder den Terror kennen. Ans Ducken vor der Gewalt gewöhnt, duckten sie sich auch jetzt wieder. Sie preßten die Lippen aufeinander, fluchten innerlich oder beteten um Erlösung vor dem Übel, aber sie duckten sich und fügten sich. Weil sie gar nichts anderes tun konnten.
Und bei diesen Familien sprach ich vor. Ich redete wie eine ganze Bibliothek. Sie waren höflich, sie waren freundlich, sie ließen mich aussprechen. Aber sie wußten von nichts. Sie wußten buchstäblich von nichts. Mit schamhaft gesenkten Köpfen versicherten sie, daß sie das alles sehr interessant fänden, was ich ihnen erzählte, aber sie könnten mir leider nicht helfen. Sie gehörten nicht zu den Betroffenen. Manche sagten sogar ein paar bittere Worte. Ich konnte es ihnen nicht verdenken.
Meine Füße brannten, als ich am Abend des vierten Tages die ausgetretenen Stufen in einem Hinterhaus hinanstieg. Es würde ein Besuch aufs Geratewohl werden. Jemand hatte mir erzählt, daß der alte Mann, den ich besuchen wollte, gegen acht mit einem zerschlagenen Gesicht nach Hause gekommen sei. Das sah ganz danach aus, als hätte ich ein Opfer der Racket-Bande vor mir.
Er wohnte unter dem Dach in einer Mansarde. In einem einzigen Zimmer. Ich klopfte und wartete. Es dauerte eine ganze Weile, bevor ich Schritte von drinnen an die Tür heranschlurfen hörte. Dann erschien das Gesicht eines alten Mannes im Türspalt. Seine Oberlippe war aufgeplatzt und geschwollen. Der weiße Schnauzbart verdeckte die Wunde nur unzulänglich. Am Kinn hatte er einen bräunlichvioletten Fleck.
»Guten Abend, Sir«, sagte ich. »Mein Name ist Cotton. Ich bin Bundesbeamter. Kann ich Sie eih paar Minuten sprechen?«
Ich sagte absichtlich nicht gleich, von welcher Bundesbehörde ich kam, weil ich nicht mit der Tür ins Haus fallen wollte. Der alte Mann schien mir irgendwie erleichtert, seit er gehört hatte, daß ich Beamter sei. Er gab die Tür frei und sagte mit zittriger Stimme: »Bitte, kommen Sie herein, Mr. Cotton! Ich habe nur eine kleine Wohnung, aber für uns zwei werden wir schon einen Platz finden.«
Ich trat über die Schwelle. Das Zimmer war überraschend sauber. An der Wand stand ein Bett, das mit einer dunklen Decke überzogen war, auf der zwei bunte Kissen lagen. Außerdem gab es einen viereckigen Tisch, drei Stühle, einen Schrank und eine Kommode. Auf der Kommode, dem Tisch und den Stühlen lagen Berge von
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