0230 - Heroin für Gangsterarme
mit anderen Verfassungen verglichen. Politik interessierte mich immer in einem hohen Grade.«
»Das erleichtert meine Aufgabe noch mehr. Sehen Sie, das FBI weiß, daß sich hier im Viertel eine Gangsterbande breitgemacht hat. Sie verlangt, daß die Leute ihr wöchentlich bestimmte Beträge als Tribut zahlen. Wer sich weigert, wird durchgeprügelt.«
Ich sah ihn an. Er hatte den Kopf gesenkt, rauchte schweigend und gab durch kein Wimpernzucken zu erkennen, ob er wußte, wovon ich sprach, oder ob er aus meinem Munde zum erstenmal von der Bande hörte.
Ich fuhr fort: »Das ist eine verdammt gemeine Tour, und Sie dürfen mir glauben, daß wir beim FBI alles tun, was in unseren Kräften steht, um diese Leute dahin zu bringen, wo sie hingehören. Aber wir haben dabei mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. Unter anderem mit der, daß uns kein Richter einen Haftbefehl gegen diese Bande ausstellen will.« Er stutzte. »Aber wieso denn nicht?« fragte er. »Das sind doch Verbrecher!«
»Ganz zweifellos«, nickte ich. »Aber sagen kann man das von jedem. Man muß es beweisen können. Wir müssen dem Richter einen Beweis vorlegen, aus dem er ersehen kann, daß unsere Anschuldigung gegen die Bande nicht nur aus der Luft gegriffen ist. Ich bin seit vier Tagen durch die Straßen dieses Viertels gelaufen und habe mit über 30 Familien gesprochen. Nicht eine war bereit, vor Gericht auszusagen, daß sie von der Bande erpreßt wird. Wie sollen wir je gegen diese Banditen vorgehen können, wenn die Opfer selbst diese Bande decken? Ich verstehe die Motive der betroffenen Familien recht gut. Sie fürchten, daß sich die Gangster an ihnen rächen würden. Aber man kann doch Verbrecher nicht bis ans Ende aller Tage frei herumlaufen lassen, weil keiner es wagt, gegen sie aufzustehen und die Wahrheit über ihr schändliches Tun zu sagen!«
Der Alte sah mich an. Auf einmal blitzten seine Augen wie die eines Jünglings. »Und ich wunderte mich schon, warum die Polizei nichts tut«, murmelte er. »Wissen Sie, wir Europäer müssen uns immer erst daran gewöhnen, was amerikanische Demokratie ist: Hier muß wirklich noch das meiste von den Leuten ausgehen. Bei uns zu Hause setzte man sich hin und wartete immer darauf, daß der Staat etwas tun sollte. Als ob der Staat etwas anderes wäre als wir selbst. Sir, Sie können sich die nötigen Haftbefehle holen. Ich sage aus. Ich kann beschwören, daß fünf Männer dieses Viertel terrorisieren, daß sie die Einwohner erpressen, daß sie die Leute schlagen und foltern, damit sie ihnen den verlangten Tribut zah…«
Er brach ab. Irgendwo im Hause unter uns war ein splitterndes Krachen laut geworden. Einen Augenblick später wiederholte sich das Geräusch. Gleich darauf hörten wir den halb unterdrückten Schrei einer Frau.
»Das sind sie!« rief der Alte. »Das sind sie! Sie sind unten bei Potenkusch! Sir, eilen Sie! Helfen Sie den Leuten! Der Mann hatte einen Unfall, er hat den rechten Arm gebrochen, er kann sich doch nicht wehren.«
Ich war aufgesprungen.
Einen Augenblick lauschte ich auf die Geräusche, die von unten heraufhallten. Dann war ich mit zwei raschen Schritten bei der Tür. Darauf hatte ich doch nur gewartet. Jetzt kamen sie mir gerade richtig. Und wenn es zehn gewesen wären…
***
Bill Hagerts und Cush Humming stiegen die Stufen empor. Sie gaben sich nicht einmal Mühe, leise aufzutreten oder nicht gesehen zu werden. Sie vertrauten dem, was sich wochenlang in ihrem Sinne bewährt hatte: der Gewalt des Terrors, der Macht der Angst, die sie verbreitet hatten.
Als sie vor der Wohnungstür standen, grinste Humming.
Hagerts grinste zurück. »Na, dann wollen wir mal«, sagte er.
Die wohnung gehörte zu jenen alten Bauten, in denen der Türknauf auch von außen drehbar war und das Schloß öffnete. Sie brauchten ja nur den Knopf zu drehen und schon standen sie im Wohnzimmer.
Stanislaus Potenkusch lag auf der Couch. Sein rechter Arm war vom Handgelenk bis fast hinauf zur Schulter eingegipst und hing in einer schwarzen Schlinge. Er hielt ein Magazin in der linken Hand und las in einer Wildwestgeschichte.
Auf dem abgetretenen Teppich spielten zwei kleine Kinder: Mary, vier Jahre alt, und Billy, sechs Jahre alt. Sie beschäftigten sich mit einem Baukasten, aus dessen sinnreich geformten Steinen Häuser, Schiffe, ja beinahe jeder nur denkbare Gegenstand nachformt werden konnte.
Mrs. Potenkusch, eine gebürtige Amerikanerin, von kleinem, grazilem Wuchs, saß am Tisch und nähte an
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