0234 - Der Boß kennt kein Erbarmen
Dunkelheit.
»In dieser Stadt leben ungefähr acht Milhonen Menschen«, sagte ich. »Viele von ihnen haben irgendeinen dunklen Fleck auf ihrer Weste. Die Angehörigen leiden darunter. Aber sie müssen sich damit abfinden. Sie müssen sich auch damit abfinden, Miss Raggers. Ich weiß nicht, was man Ihnen in der Schule erzählt, aber ich habe ein wenig den-Verdacht, dass auf allen Schulen der Welt das Leben unkomplizierter dargestellt wird, als es in Wahrheit ist. Wollen Sie nun bis ans Ende Ihrer Tage sich verstecken, weil Ihr Vater ein Gangster war?«
»So einfach ist es gar nicht«, erwiderte sie halblaut.
»Stimmt«, gab ich zu. »So einfach ist es nicht. Aber deswegen kann man doch nicht den Kopf hängen lassen. Wir sind mm einmal in dieser Welt, also müssen wir versuchen, damit fertig zu werden. Wichtig ist allein, dass Sie ein anständiger Mensch sind. Und bilden Sie sich gefälligst nicht ein, dass bei uns mit zweierlei Maß gemessen würde! Ein Mord ist für uns ein Mord, gleichgültig, wie, wo, wann und an wem er begangen wurde. Ist das jetzt klar?«
Ich hatte absichtlich sehr scharf gesprochen, weil ich sie von den Selbstvorwürfen abbringen wollte, mit denen sie sich quälte. Jetzt nickte sie und sagte:
»Ja, Sir. Ich wollte Sie nicht beleidigen.«
»Hab’s auch nicht so auf gefasst«, sagte ich und lächelte.
Sie erwiderte mein Lächeln schüchtern. Ich kam allmählich zum Thema.
»Miss Raggers«, sagte ich. »Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen…«
Ich berichtete ihr von Faloire. Ich erzählte in knappen, ungeschminkten Worten, was für-Verbrechen er bisher begangen hatte. Dann fuhr ich fort:
»Dieser Faloire scheint plötzlich von einem Mann gedeckt zu werden, den wir schon lange auf unserer Liste stehen haben, aber dem wir bisher nichts anhaben konnten: von einem gewissen Calhoone. Weder ich noch irgendeiner meiner Kollegen hat diesen Calhoone schon jemals zu Gesicht bekommen. Wir wissen nur, dass er die Herrschaft in der New Yorker Unterwelt antreten möchte. Aber wir können dieses nicht beweisen. Vor dem Gesetz ist Calhoone so unschuldig wie ein Baby, solange wir keine Beweise gegen ihn Vorbringen können. Wie aber sollen wir diese Beweise je Vorbringen können, wenn uns niemand aus der Bevölkerung dabei hilft? Ein Mensch wird betrogen, ruiniert, um seine Existenz gebracht. Es ist Calhoones Werk - aber wir können nichts machen, weil der Betroffene den Mund hält aus Angst, man könnte ihn sogar noch ermorden, wenn er gegen Calhoone aussagen würde. So geht das nun schon seit Wochen. Diebereien, illegale Geschäfte, Überfälle werden ausgeführt. Von allem profitiert dieser Calhoone.Täglich wächst sein Vermögen. Täglich wächst die Zahl der Gangster, die er für sich arbeiten lässt. Täglich wächst dadurch auch die Anzahl der-Verbrechen, die letztlich auf Calhoone zurückzuführen sind. Und wir können nichts machen. Mit wem wir auch sprechen, wen wir auch fragen - niemand hat etwas gesehen, niemand hat etwas gehört. Es scheint, als ob sich die Leute terrorisieren lassen wollten!«
Das Mädchen sah mich groß an.
»So schlimm ist das?«, sagte sie tonlos.
Ich nickte hart.
»So schlimm ist das! Ihr Vater wurde ermordet! Inzwischen ist ein anderer Gangster ebenfalls ermordet worden. Sicherlich in Calhoones Auftrag. Vielleicht geschieht in diesem Augenblick bereits der nächste Mord. Wann endlich wird jemand den Mut haben und reden?«
»Ich«, sagte sie heiser. »Ich werde reden. Obgleich man mir fürchterliche Dinge angedroht hat, wenn ich den Mund aufmachen sollte. Aber ich werde nicht mehr schweigen. Ich werde Ihnen alles sagen, Mister Cotton. Einer muss doch den Anfang machen!«
»Schießen Sie los«, sagte ich und drückte den Knopf nieder, der unser Tonbandgerät einschaltet.
»Mein Vater kam nicht allein nach Hause. Ich war gerade bei einer Nachbarin, um etwas Zucker zu leihen, der uns ausgegangen war. Als ich in unsere Wohnung zurückgehen wollte, sah ich meinen Vater mit zwei anderen Männern die Treppen heraufkommen. Einer dieser beiden war der Mann, mit dem Sie sich in meiner Wohnung geschlagen haben, Mister Cotton.«
»Und der andere? Kannten Sie den?«
»Nein. Ich hatte ihn noch nie vorher gesehen.«
»Würden Sie ihn wieder erkennen, wenn er Ihnen einmal begegnen würde?«
»Auf jeden Fall.«
»Gut. Ich werde Ihnen später die Bände unseres Verbrecheralbums vorlegen lassen, falls der von mir verhaftete Mann nicht reden sollte. Vielleicht finden
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