024 - Lebendig begraben
verärgert.
Aber noch während ich fragte, fiel mir etwas ein, das ich längst vergessen hatte, weil es Jahrhunderte zurückzuliegen schien: Mein Auftauchen in Forchting und das Monogramm auf meinem Hemd: G. B. Gerrie Bermann. Warum nicht Gerrie Bermann? Der Mann kam also aus meiner Vergangenheit. Dann war er im Vorteil, weil er mehr wissen musste als ich. Und augenscheinlich war er nicht gewillt, die Vergangenheit ruhen zu lassen.
„Spiel kein Theater, Bermann!“ unterbrach die Stimme kalt meine Gedanken. „Ich habe dich gestern den ganzen Tag beobachtet. Auch wenn du auf noch so jung machst. Ein Gesicht wie deines würde ich nicht in hundert Jahren vergessen. Und ich habe den alten Lechtner hier. Seit er weiß, was mit dir los ist, packt er aus wie der Weihnachtsmann. Diesmal werde ich gründlicher sein. Und du brauchst auch nicht mit Franziska zu rechnen. Für sie bist du längst tot. Mausetot, mein Junge.“
„Und was wollen Sie?“ fragte ich ihn, als er innehielt.
„Dich endgültig fertigmachen, du Ungeheuer! Ich schwöre dir, dieses Nest hier war der letzte Ort auf dieser Welt, an dem du dein dreckiges Werk vollbracht hast.“
„Und deshalb rufen Sie mich an?“ fragte ich ebenso kalt.
Er lachte. „Ein kleiner Triumph, mein Lieber. Du bist so gut wie tot. Und ich brauche mir nicht einmal die Hände schmutzig zu machen.“
Er lachte und hängte auf.
Verdammt! Ich hatte noch immer keine Erinnerungen an früher und nicht die leiseste Ahnung, wer mir hier so selbstgefällig an den Kragen wollte. Verdankte ich ihm mein ausführliches Bad im See? Wahrscheinlich. Und es war auch leicht zu erraten, was er nun vorhatte. Mit Lechtner an der Seite mochte es ihm schon gelingen, die Dorfbevölkerung gegen mich aufzuhetzen, und wenn sie erst einmal Lunte gerochen hatte, war sie auch allen anderen Argumenten zugängig, die der Unbekannte vorbringen mochte. Ohne Erinnerung an die Vergangenheit war ich ein ziemlich hilfloser Fisch an der Angel. Ich fürchtete den Tod nicht, aber das Leben war viel zu interessant, um es einfach hinzuwerfen. Es gab für mich noch so viel zu tun.
„Wer war das?“ Winnies Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
„Jemand, der mich von früher her kennt – oder es wenigstens glaubt“, erklärte ich ihm.
„Das freut mich für dich“, sagte er. „Endlich erfährst du etwas über dein früheres Leben.“
„Ja“, erwiderte ich tief in Gedanken. „Endlich.“
„Hast du ihn nicht eingeladen?“
„Ich werde ihn im Hotel treffen.“
„Oh!“ sagte Winnie enttäuscht. „Aber du stellst ihn uns doch vor, nicht wahr?“
Ich hob die Schultern. „Ich denke, er wird es selbst früh genug tun. Ich bin bald zurück.“
Als ich den Wagen aus der Garage fuhr, sah ich, dass es bereits zu spät für eine Flucht war. Die Lichter einer kleinen Autokolonne näherten sich auf dem nur einspurig befahrbaren Karrenweg dem Hof. Ich saß fest. Vielleicht war es gut so. Damit erfuhr ich wenigstens manches über meine Vergangenheit. Das konnte nur von Nutzen sein.
Als sie in den Hof fuhren, sah ich ihnen ruhig entgegen, nur von einem Gefühl beseelt: Neugier!
Der Motorenlärm erstarb langsam. Die Männer stiegen aus. Ich kannte sie alle gut genug, um ihre Mienen deuten zu können. Sie waren von Zweifeln erfüllt, aber sie waren entschlossen, entschlossener als sie zeigen wollten. Mein unbekannter Widersacher hatte ihnen die Augen geöffnet.
„Tut uns leid, Schorsch“, sagte einer, „aber seit gestern ist ein Fremder in der Stadt. Albrecht Geissler heißt er -falls dir der Name etwas sagt. Er scheint dich von früher her zu kennen, und er hat ziemlich schwere Anschuldigungen gegen dich erhoben. Es …“ Er deutete auf seinen Wagen. „Es ist besser, wenn du gleich mitkommst.“
„Was soll das heißen, Richard?“ rief eine Stimme hinter mir. „Dass ihr einem dahergelaufenen Fremden …“
„Halt dich ’raus, Winnie!“ erwiderte einer der Bauern von jenseits des Flusses. „Das ist ganz allein die Sache des Jungen.“
„Das finde ich nicht“, erwiderte Winnie verärgert. „Selbst wenn er früher etwas angestellt haben sollte, ist er jetzt nicht so einfach dafür verantwortlich zu machen. Seine Amnesie macht ihn moralisch frei. Man muss ihm Zeit geben, sich zu verteidigen. Es sind in letzter Zeit zu viele vorschnelle Urteile gefällt worden.“
Die Männer schwiegen einen Augenblick betreten, dann meinte ihr Sprecher ärgerlich: „Es geht um keine alten Dinge, Winnie.
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