024 - Lebendig begraben
Geissler sagt, er hätte Beweise dafür, dass Schorsch dafür verantwortlich ist, dass wir uns gegenseitig die Kehle durchschneiden. Und es hat was für sich, was er sagt.“
„Aber Männer, ihr wisst so gut wie …“
„Das wird Schorsch selber klären müssen, und hoffentlich kann er es.“ Er wandte sich an mich. „Steig ein, Schorsch! Mach jetzt lieber keinen Fehler!“
Ich nickte und ging zum Wagen, dessen Tür er einladend öffnete.
„Ich komme mit“, hörte ich Winnie sagen und ihn auf seinen eigenen Wagen zugehen.
Ein Mann saß neben mir auf dem Rücksitz und behielt mich wachsam im Augen. Seine Miene war weder freundlich noch feindlich. Ein jüngerer Typ auf dem Beifahrersitz betrachtete mich schon gehässiger.
Wir fuhren los, und ich kümmerte mich nicht um meine Mitfahrer. Stattdessen versuchte ich mich an einen Mann namens Geissler zu erinnern.
Aber mein Grübeln brachte nichts. Ich gab es auf und versuchte mir vorzustellen, was sie mit mir vorhatten. Als erstes wohl eine Gegenüberstellung. Vermutlich würde mich auch sein Gesicht an nichts erinnern. Aber es war auch gleichgültig, ob ich mich erinnerte oder nicht. Am Ende ging es nicht darum, was er wusste, sondern was Lechtner sich zusammengereimt hatte.
Schuldig im Sinne des Gesetzes war ich nicht. Ich hatte nicht gemordet, nicht gebrandschatzt, nicht einmal jemanden erschlagen. Das hatten sie besorgt – Richard Thomas und Sepp Heuer und Willie Halmann und ihresgleichen; lauter ehrbare, angesehene Bauern dieser Gegend. Sie würden sich hüten, allzu viel auszupacken. Wenn die Polizei erst einmal nachzuforschen anfing, mochte es peinliche Enthüllungen geben.
Andermanns großer Saal war gerammelt voll. Sie mussten sich eine Gasse bahnen, um mich durchzubringen. Ein Raunen ging durch die trinkende, qualmende Menge, als sie meiner ansichtig wurde. Es klang wie ein feindseliges Knurren. Die Gesichter waren voll finsterer Neugier, manche Faust geballt.
Die Leute schienen schon einiges erfahren zu haben und offenbar nichts Gutes.
Meine Begleiter, oder besser Wächter schoben mich in ein Hinterzimmer, in dem ein grauhaariger Mann in einem Lehnstuhl saß und mir gespannt entgegenblickte. Als er mich sah, huschte ein Grinsen der Befriedigung über seine vom Alter gezeichneten Züge. Er was sicher an die Sechzig; ein dürrer, großer Mann in einem weißen Hemd und schwarzer Weste unter einem dunklen Anzug.
Während er mich noch musterte, sah ich die Verblüffung in seinem Gesicht wachsen.
Auch Thomas und Heuer schienen das zu bemerken, denn Heuer fragte unruhig: „Stimmt was nicht mit ihm, Geissler?“
Geissler schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. Er ist verdammt jung. Seid ihr sicher, dass das der Junge ist, den ihr aus dem Wasser gefischt habt?“
„Kein Irrtum möglich“, sagte Halmann. „Aber Sie scheinen sich plötzlich nicht mehr so sicher.“
„Und wenn schon!“ fuhr Geissler auf. „Ich weiß, was sich in den letzten Monaten hier abgespielt hat. Ich habe lange zugesehen, um sicher zu sein, dass die Sache stinkt. Ihr habt es mit den Beweisen auch nicht sehr genau genommen.“
Die Männer schwiegen verbissen, und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
„Der da“, fuhr Geissler fort und deutete dabei mit knöchernem Finger auf mich, „ist zwar auf dem ersten Blick jünger, als ich gedacht hatte, aber wir werden einen zweiten Blick riskieren und bald erkennen, welche Teufelei dahinter steckt. Die Ähnlichkeit und das, was sich im letzten halben Jahr abgespielt hat ist mir Beweis genug.“
Er schien ein Fanatiker zu sein. Das mahnte mich zur Vorsicht. Denn ein Fanatiker hatte etwas Übermenschliches an sich, das gefährlich werden konnte.
In einer Ecke des Raumes sah ich, wie ein armseliges Bündel, Lechner sitzen, so, als hätte er’ bereits den Strick um den Hals. Und ich hätte ihm liebend gern einen umgelegt. Noch jemand saß dort, den ich nicht kannte, ein jüngerer Mann mit wenig vertrauenerweckenden Zügen und einer Verschlagenheit im Blick, die auf Bosheit und Brutalität hinwies. Mehr von seiner Sorte hätte ich in Forchting gebraucht.
Geissler hatte ich nie zuvor gesehen – oder wenigstens erinnerte ich mich nicht daran, was vielleicht wahrscheinlicher war.
Thomas fragte sarkastisch: „Na, was hältst du von der Sache, Schorsch?“
„Was soll das alles?“ fragte ich. „Habe ich euch nicht immer nach bestem Wissen und Gewissen beraten? Wart ihr mir nicht dankbar dafür?“ Und
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