024 - Lebendig begraben
versuchten.“
Unwilliges Gemurmel. Belehrungen waren es nicht, die die Menge brauchte, auch nicht Tadel.
„Wir beginnen am besten damit, dass Herr Geissler seine Anklage wiederholt. Dann weiß der Angeklagte endlich, was er verbrochen hat.“
Gelächter kam aus dem Saal. Als es verstummt war, meinte Thomas: „Also, Geissler, reden Sie!“
Geissler trat vor und deutete mit seiner knochigen Hand auf mich.
„Dieser Mann“, sagte er mit krächzender Stimme, „ist kein menschliches Wesen mehr, sondern ein Geschöpf des Teufels. Ein Diener Satans. Er ist besessen, wie es sein Vater und sein Großvater und eine lange Reihe von Vätern davor. Und wie es seine Söhne sein werden, wenn ihr ihn leben lasst.“
Ich schüttelte unwillkürlich den Kopf. War Geissler verrückt? War er abergläubisch wie diese einfachen Dorfbewohner? Aber dann wurde ich der Stille im Saal gewahr, der Atemlosigkeit, und der Fahlheit der Gesichter. Nein, Geissler war nicht verrückt. Er packte die Leute – genau wie ich –, an ihrer verwundbarsten Stelle: ihrer Angst, ihrem Aberglauben.
Ich lachte, obwohl mir eigentlich nicht nach Lachen zumute war.
„Angenommen“, sagte ich, „es gibt so etwas wie teuflische Besessenheit …“
Geissler unterbrach mich: „Keiner im Saal zweifelt daran, dass es sie gibt,
denke ich.“ Er wandte sich an die Menge. „Wurde nicht des Kronachers Tochter verbrannt, weil sie eine Hexe war. War sie eine Hexe?“
Zögerndes, zustimmendes Nicken. Wenn es welche gab, die unsicher waren, so schwiegen sie. Die Unsicheren schwiegen immer. Aber keiner stand auf und sagte: Nein. Das ist wider die Vernunft!
„Und ich sage“, fuhr Geissler triumphierend fort und deutete mit seinen knochigen Fingern wieder auf mich, „dieser Mann – er heißt mit richtigem Namen Gerhard Bermann – steht mit dem Teufel in engerer Beziehung, als er vielleicht selbst weiß. Aber das darf uns nicht hindern, ihn zu vernichten – denn der Teufel ist im Besitz seiner Seele.“
Die Worte fielen auf fruchtbaren Boden. Und wenn jemand nicht sicher war, dann hatte er lediglich Zweifel, ob ich besessen war, aber nicht, ob es Unsinn war, wovon Geissler sprach. Ich saß in meiner eigenen Falle. Ein halbes Jahr lang hatte ich ihren Aberglauben mit allen Mitteln hochgezüchtet und erreicht, dass sie sogar mordeten, von ihren dunklen Ängsten getrieben. Nun war es zu spät, an die Vernunft zu appellieren. Ich konnte nur versuchen, mir den Aberglauben ebenso zunutze zu machen wie Geissler.
„Ist es nicht erstaunlich, wie gut dieser Herr Geissler Bescheid weiß über das, was der Teufel besitzt und was nicht?“ fragte ich. „Sollte der Teufel ihm so freundlich gesinnt sein, dass er ihn über seine Errungenschaften auf dem laufenden hält?“ Ich wartete, bis sich das recht beifällige Gemurmel gelegt hatte, und fuhr dann dort: „Müssen wir nicht annehmen, dass auch diejenigen die Wege des Teufels erkennen, die nicht frei von ihm sind?“
„Er lenkt nur ab“, knurrte Geissler. „Hier!“ Er zog ein brüchiges Stück Papier aus einer Aktentasche und entfaltete es mit zittrigen Händen. „Hier! Sie …“, er wandte sich an Thomas, „… Sie sind Herr Thomas, nicht wahr? Sie sagten, Sie wären ein neutraler Mann. Sie wollten den Schuldigen …“
Thomas nickte.
„Dann betrachten Sie das hier! Es ist ein Dokument aus dem achtzehnten Jahrhundert, in französischer Sprache. Soweit die Schrift leserlich war, ließ ich eine Übersetzung anfertigen. Es ist eine amtlich beglaubigte Übersetzung.“ Er wandte sich an die Menge: „Es handelt sich um einen Pakt zwischen einem französischen Edelmann namens Frederic Bermans und Luzifer, dem – wie es hier hießt – Fürsten der Hölle.“
Erregtes Stimmengewirr unterbrach ihn und wollte schier nicht enden, so dass Thomas ein leeres Glas nahm und damit gegen den nächststehenden Tisch pochte.
„Lesen Sie vor!“ befahl Geissler in die folgende Stille.
Ich war selbst gespannt, daher machte ich keinen Einwand. Außerdem konnte ich mich nur dann effektvoll zur Wehr setzen, wenn ich seine Mittel kannte. Es schien nicht das einzige Dokument zu sein, das er auf Lager hatte. Die Echtheit würde man hier wohl kaum anzweifeln. Aber das Entscheidende war nicht, ob die Geschichten der Wahrheit entsprachen, sondern wer von uns sie glaubwürdiger vorbringen konnte. Ein altes Sprichwort sagt: Wer nichts beweisen kann, kann auch nichts wissen – aber glauben. Aberglauben!
„Ich,
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