0244 - Der Seelen-Vampir
der brennenden in die Runde.
Unheimlich war es schon, als das Spiel von Licht und Schatten durch das Gewölbe zuckte. Es breitete sich aus und traf auch die alte Treppe, die tiefer in den Untergrund hineinführte.
Lilian hockte am Boden. Sie stützte sich mit einer Hand ab, hatte ihr Gesicht dem Meister zugedreht und die Augen weit aufgerissen.
Jeder hätte erkannt, wie schlecht es ihr ging, und ein jeder hätte auch Mitleid mit ihr gehabt.
Nicht so der Vampir.
Für ihn war sie die Beute. Er trat nahe an sie heran und leuchtete.
Der Schein warf ein bewegendes Muster auf die Gestalt, und Tarrasco streckte die Hand aus. »Komm hoch, Kleine, wir müssen weiter!« zischte er und produzierte wieder das schlürfende Geräusch, das sich so widerwärtig anhörte.
»Ich… ich … kann nicht, Meister!« Die Stimme des Mädchens hörte sich seltsam fremd an.
Der Seelen-Vampir lachte. »Du kannst nicht? Willst du deinen Meister enttäuschen?« Er beugte sich weiter vor, auch die Fackel machte den Weg mit, und der Schein geriet in die Nähe seines Gesichts, das er zu einer dämonischen Fratze verzerrte.
Die Worte hatten sich in Lilians Gehirn eingebrannt. Nein, sie wollte ihren Meister auf keinen Fall enttäuschen, sondern ihm alles geben, sogar ihre Seele. Er durfte auf keinen Fall böse auf sie sein. So drehte sie sich um, streckte die Arme aus, krallte ihre Hände, so gut es ging, an dem feuchten, rissigen Gestein fest und schaffte es, auf die Füße zu kommen.
Tarrasco schaute ihr zu, wie sie schwankend dastand und nicht mehr konnte.
Trotzdem trieb er sie an. »Weiter! Wir müssen weitergehen…«
Mit der freien Hand griff er in das fahle Haar des Mädchens und zog es zu sich heran.
Er stieß Lilian die Stufen hinunter.
Normalerweise wäre sie längst zusammengebrochen, aber da steckte etwas in ihr, das einem Motor glich. Es war wie eine Flamme, und Lilian sagte sich, daß sie den Meister auf keinen Fall enttäuschen durfte. Er wollte ihre Seele, und die sollte er bekommen.
Gespenstisch füllte das Licht der Fackel die unmittelbare Umgebung der beiden ungleichen Geschöpfe aus. Da tanzten die Schatten über die Wände, sie wurden zu bizarren Figuren, die durch den Gehrhythmus des Vampirs ein Auf und Ab erlebten und die Gestalt des Mädchens mit einem düsteren Schleier umgaben.
Der Seelenvampir lachte. »Gleich!« flüsterte er, »gleich sind wir da, meine Kleine.«
Da war sein Gewölbe.
Plötzlich hatte er es eilig, betrat es und schleuderte Lilian auf die stinkende Matratze des Feldbetts. Der Leichengeruch störte ihn nicht weiter, er empfand ihn nicht als schlimm. Für ihn war nur etwas anderes äußerst mysteriös.
Die Tür des Geheimgangs stand offen!
Als Terrasco das sah, zuckte er zurück. Selbst der durch den Gang wehende Wind hatte den Verwesungsgeruch nicht vertreiben können, aber er traf die Fackeln und brachte die Flamme zum Tanzen.
Sie war wie eine Fahne, drehte sich, tanzte und bewegte sich von einer Seite zur anderen.
Sein Versteck war entdeckt worden. Und nicht nur das. Andere hatten auch seinen Fluchtweg erkundet.
Über sein Gesicht schien sich ein Schleier zu legen, der nicht vom Widerschein der Fackel stammte. Er drehte sich hastig um und riß die anderen Fackeln aus dem Bund der Hose, in den er sie vor seiner letzten Kletterei gesteckt hatte.
Terrasco zündete die Pechfackeln an und steckte sie in die an den Wänden angebrachten Halter.
Jetzt wurde das Verlies von mehreren Seiten erhellt. In seinem Zentrum befand sich das Bett, auf dem still und völlig apathisch das fahlblonde Mädchen lag.
Der Vampir ging neben dem alten Feldbett in die Knie. Über sein hageres Gesicht zuckte ein Lächeln.
Die Beschwörung konnte beginnen…
***
Der Frachter lief mit voller Kraft in Richtung Süden. Längst stand der Kurs fest. Er führte an der französischen Küste entlang, passierte Portugal, um durch die Meerenge von Gibraltar in das Mittelmeer vorzustoßen. Sizilien sollte passiert werden, die griechischen Inseln ebenfalls. Durch den Bosporus und das Marmara Meer ging es ins Schwarze Meer.
Und dort gab es einen rumänischen Hafen, der zu einer Stadt namens Konstanza gehörte.
Sie war das Ziel!
Noch war es längst nicht soweit. Zwar fuhr der Frachter sehr schnell, aber der Atlantik hatte so seine Tücken. Das Schiff geriet in einen Sturm, die Geschwindigkeit mußte gesenkt werden, und Kapitän Romanescu wurde es angst und bange. Er hatte den Auftrag bekommen, die Zeiten unbedingt
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