0245 - Verdammt und begraben
Burg konnten wir nicht mehr sehen. Höchstens noch als dunklen Schatten hinter der Nebelwand.
Am Rand des Friedhofs blieben wir stehen. Die unheimliche Atmosphäre war überall zu spüren, wir tankten sie förmlich in uns auf. Da war der Nebel, die gespenstisch anmutenden Grabsteine, die schief im Boden steckten, das Laub auf dem Boden, die weiche Erde, hier und da ein paar schmutzige Schneeflocken, und am Rand des Friedhofs standen Bäume mit ihren kahlen, oft krummen Ästen, die sich wie die Fäden eines zerstörten Spinnennetzes über die Gräber legten.
Ich wurde an den Friedhof der Verfluchten erinnert, als ich auf diesen Totenacker schaute. Damals hatte ich ähnliche Gefühle gehegt, nur kamen hier keine Zombies aus den Gräbern. [3]
»Gehen wir?« fragte Marek.
»Klar.« Ich nickte. »Aber wo befindet sich das Grab oder die Gruft des Vampir-Barons?«
»Rechts von hier. Man hat ihn nahe der Schloßmauer beerdigt. Das Grab liegt nicht schief im Boden.«
»Dann komm.«
Hintereinander schritten wir. Unsere Füße sanken in das weiche Erdreich ein. Schon bald klebte das feuchte Laub an unseren Schu hen und auch an den Hosenbeinen.
Wir selbst wirkten wie Geister, weil die grauen Nebelschwaden uns umhüllten.
Suko hatte seine Taschenlampe eingeschaltet. Sie gab zwar nicht viel Licht, aber war besser als nichts.
Wege existierten auf diesem Totenacker längst nicht mehr. Man konnte den Friedhof als ein Ganzes bezeichnen, nur unterbrochen von den aus dem Boden ragenden Grabsteinen, die an breite Stummelfinger erinnerten.
Kreuze gab es nicht.
Wir hatten etwa zehn Grabsteine passiert und näherten uns bereits wieder der Schloßmauer, als ich Marek auf dieses Phänomen aufmerksam machte.
»Hast du schon mal auf einem schwarzmagischen Friedhof Kreuze gesehen?« fragte er.
»So wollte ich das nicht gemeint haben. Hier liegen doch nicht nur Vampire begraben, sondern auch normale Tote.«
»Aus der Sippe des Barons.«
»Dann können alle zu Vampiren geworden sein.«
»Vielleicht.« Er blieb stehen und holte tief Luft. »Ich weiß einfach zu wenig. Die Geschichte hat über Baron Viktor von Leppe den Mantel des Schweigens gebreitet.«
Suko war schon vorgegangen. Er konnte bereits die Schloßmauer sehen, die sich als kompakter, düsterer Schatten aus dem Nebel schälte. »Hier muß das Grab sein«, sagte er.
Marek und ich beschleunigten unsere Schritte. Suko ging ein wenig zur Seite. Er blieb so stehen, daß der helle Finger seiner Lampe auf die Grabplatte fallen konnte.
Von der ursprünglichen Farbe des Gesteins war nicht mehr viel zu erkennen. Wo es vom Lichtschein getroffen wurde, schimmerte es grünlich. In den kleinen Ritzen hatte sich das dichte Moos festgesetzt, und auch die Schrift war nicht mehr zu entziffern.
Marek holte ein Taschenmesser hervor, ging in die Knie und kratzte mit der Klinge soviel an Moos zur Seite, daß wir wenigstens den Namen lesen konnten.
Da stand genau das geschrieben, was wir erwartet hatten.
BARON VIKTOR VON LEPPE.
»Hier drunter muß er liegen«, sagte Marek mit leiser Stimme und klopfte auf die schwere Grabplatte.
»Oder auch nicht«, sagte Suko trocken. »Wir werden es feststellen. Können wir das Ding anheben?« Er schaute mich dabei fragend an und überreichte Marek die Lampe.
»Ein Versuch lohnt sich.« Ich bückte mich bereits. Einen Ring hatten wir ebenfalls entdeckt. Er bestand aus Metall und befand sich über der eingemeißelten Schrift.
Zum Glück war er so groß, daß Suko und ich ihn gemeinsam anfassen konnten.
»Fertig?« Ich schaute meinen Partner an.
Der Chinese nickte nur.
»Dann los!«
Merkwürdig leicht und einfach ließ sich die Steinplatte in die Höhe hieven. Wir strengten uns zwar noch immer an, aber weil wir es beim ersten Versuch schon schafften, bewies es uns, daß die Platte bewegt worden war. Als sie hochkant stand, drückten wir noch ein wenig dagegen und ließen sie dann kippen.
Mit einem dumpfen Geräusch schlug sie auf.
Marek gab Suko die Lampe. Der leuchtete in die vor uns liegende finstere Gruft, schwenkte den Strahl, und wir sahen zur gleichen Zeit, was im Innern der Gruft stand.
Es war ein Steinsarg!
In ihm hatte man vor langer Zeit den Baron Viktor von Leppe begraben. In diesem Fall jedoch lag er nicht mehr in seinem Sarg, denn der schwere Deckel war verschoben worden und ließ die Hälfte des Sarginnern frei.
»Er ist weg!« flüsterte Marek. »Er ist weg. Verdammt, ich hatte doch recht. Baron Viktor von Leppe ist ein
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