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025 - Die Treppe ins Jenseits

025 - Die Treppe ins Jenseits

Titel: 025 - Die Treppe ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larry Brent
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Erde faszinierte ihn immer wieder. Eine
gewisse Romantik haftete den altertümlichen Gebäuden an, der rauen, grauen
Mauer, die das Anwesen wie ein Wall vor der übrigen Welt schützte und verbarg.
Dies hier war eher ein kleines Schloss als ein Landhaus, und er entsann sich,
dass eigentlich Eve, die jüngste Tochter seines Bruders, den Begriff Landhaus erfunden hatte, und so war er
in den Sprachgebrauch der Familie eingegangen.
    Orwin Baynes blieb stehen, als er das Geräusch vernahm. Er lauschte, wandte
den Kopf und starrte zurück durch den dichter werdenden Nebel hinüber zum
Wirtschaftsgebäude. Für den Bruchteil eines Augenblicks hatte er den Eindruck,
als ob sich die schmale Seitentür neben dem großen Tor bewegte, aber dann
erkannte er, dass er sich getäuscht hatte. Es war der Schatten, den ein Baum
warf, und durch die große, verwaschene, untergehende Sonne hinter der Nebelwand
wurden hier die Licht- und Schattenverhältnisse ein wenig verzerrt.
    Aber das Geräusch? Sicher hatte er sich auch hier getäuscht. Ein Stein, der
durch den Wind über das Dach gerollt war, ein Ast, der vielleicht auf die
Treppe gefallen war ...
    Es war niemand hier. Aber er wollte Gewissheit haben.
    Orwin ging um das Wohngebäude herum. Ein schräger Bau schloss sich an,
flach, mit niedrigen, verstaubten Fenstern. Irgendwann hatte dieser kleine
Anbau als eine Art Gerätekammer gedient. In noch früheren Zeiten schienen ihn
die Callaghans als Kerker verwendet zu haben. In den Annalen der Geschichte der
Lords war deren Grausamkeit und Hartherzigkeit vermerkt. Es hieß darin, dass
faule und ungehorsame Diener in den Kerker geworfen wurden und tagelang in
tiefster Dunkelheit leben mussten. Andere wieder waren ausgepeitscht worden.
Was Dichtung und Wahrheit war, das ließ sich heute, nach fast zweihundert
Jahren, kaum mehr trennen. Orwin Baynes ging die ausgetretenen, rohen
Steinstufen hinunter. Der ehemalige Kerker lag im Souterrain.
    Die Tür war schwarz und mit schweren Eisenbeschlägen versehen.
    Er drückte auf die klobige Klinke. Die Tür ließ sich öffnen. Der Raum
dahinter war finster, aber die Einrichtungsgegenstände konnte er in der
Dämmerung erkennen.
    Ein großer Schrank stand an der gegenüberliegenden Wand. Eine Menge Papier
und kleine Plastiken lagen auf dem breiten, hohen Tisch, der inmitten des
Raumes stand. Neben dem Tisch befand sich eine Liege. Und darauf lag Allan
Carter!
    Er schlief. Auf dem Boden vor ihm lag ein zersplittertes Glas, daneben
stand eine leere Whiskyflasche. Carter war sinnlos betrunken. Der Dunst von
Alkohol und Rauch schlug Orwin Baynes entgegen.
    Der bucklige Gärtner rührte sich nicht.
    Orwin Baynes zog die Tür hinter sich zu und stieg kopfschüttelnd die
Treppen hoch. Kein Wunder, dass Carter das Lichtsignal der Klingel nicht
gesehen hatte. Für den Taubstummen war sie mit einer Lichtanlage kombiniert.
    Merkwürdig, sein Bruder hatte niemals erwähnt, dass Carter trank.
Vielleicht hatte dieses weltfremde Individuum seinen Kummer ertränken wollen.
Die Nachricht vom Tode Edward Baynes' konnte ihn umgeworfen haben. Genauso gut
aber konnte es möglich sein, dass Carter an einem Modell für eine Puppe
gearbeitet hatte und mit den zahllosen Entwürfen, die auf seinem Arbeitstisch
herumlagen, nicht zufrieden war.
    Die Dämmerung kam nun stärker auf. Die Sonne war nur noch zu einem Fünftel sichtbar.
Der verschwommene, glühende Ball versank am Horizont.
    Orwin ging zur Terrasse, um dieses Schauspiel genauer beobachten zu können.
Er sah den Sonnenball immer kleiner werden. Er stand auf der obersten Stufe der
172 Treppen, die steil und schmal in die Tiefe zu den Klippen führten. Die
Brandung donnerte gegen die Felsen, Gischt schäumte auf den untersten Stufen.
Wenn die See ruhig lag, dann wurde ganz unten ein schmaler Sandstreifen frei,
auf dem man einige hundert Meter weit um den Berg herumwandern konnte.
    Orwin Baynes rauchte seine Zigarette zu Ende und warf sie dann in hohem
Bogen nach vorn in die Tiefe. Die Glut verschwand im Dunst, verlor sich
irgendwo in dem dunklen Wasser und verlosch dort.
    Orwin blickte auf die Stufen zu seinen Füßen. Er ging vorsichtig ein paar
Treppen tiefer. Ob das schwarze Kreuz auf der vierzehnten Stufe noch zu sehen
war?
    Ja, deutlich sah er den dunklen Balken des einen Kreuzarmes. Edward hatte
also dieses markante, makabre Symbol, das an den Tod eines Callaghan-Sohnes erinnerte,
nach Eves grässlichem Unfall nicht entfernen lassen. Das wäre auch

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