0252 - Die Tochter des Totengräbers
trat an das Waschbecken, ließ Wasser laufen und nahm ein Zahnputzglas, das sie bis zur Hälfte füllte. Sie leerte es in mehreren Schlucken, schaute noch einmal in den Spiegel und sah eine alt gewordene Frau mit grauen Haaren, die ihren Kopf wie ein Besen umgaben.
Attraktiv war sie nicht mehr. Die Jahre hatten Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Kein Wunder, dachte sie, wenn man mit einem Totengräber verheiratet ist und in einem Haus wohnt, das keiner haben will, weil das Böse dort umgehen soll.
Ja, so sprachen die Leute. Sie hatten sich zwar nie näher artikuliert, doch Thelma glaubte, verstanden zu haben. Mit dem Bösen konnte eigentlich nur einer gemeint sein.
Sir Edward Jeffries, der Richter! Sie sah ihn noch vor sich. Ziemlich klein, ein spitzes Gesicht, das manchmal einen verschlagenen, zynischen Ausdruck annehmen konnte. Und sie dachte auch an die kalten, gefühllosen Augen, die einen Angeklagten regelrecht sezieren konnten, wenn sie ihn anschauten. Wie oft hatte er gelacht, wenn er einen Menschen durch sein Urteil vom Leben in den Tod beförderte. Richter Jeffries hatte sich besonders gern der Polizistenmörder angenommen. Da konnte er mit gutem Gewissen die Todesstrafe aussprechen, wobei sich die Frage stellte, ob er überhaupt ein Gewissen hatte.
Sie verließ das Bad und schüttelte dabei den Kopf. Weshalb hatte die Töchter an diesem Mann einen Narren gefressen? Sie hatte sich vor seinem Tod oft mit ihm unterhalten und seinen Worten gelauscht. Stundenlang saßen sie zusammen. Thelma gab zu, daß sie manches Mal gehorcht und auch Wortfetzen aufgeschnappt hatte.
Ein paarmal hatte sie den Begriff Asmodis gehört.
Thelma hatte dann nachgeschlagen, um zu wissen, was dieser Name bedeutete.
Sie war erschreckt gewesen, als sie feststellen mußte, daß Asmodis ein anderes Wort für Teufel war.
Ja, Teufel, das paßte zu Sir Edward. Er war ein Teufel in Menschengestalt, etwas anderes konnte man von ihm kaum sagen. Und es lag eigentlich auf der Hand, daß er auch von dem Teufel sprach.
Das Gegenteil hätte man sich bei ihm kaum vorstellen können.
Thelma betrat das Schlafzimmer und stellte sich wieder ans Fenster. Sie rechnete damit, die beiden auf dem Rückweg zu sehen. Das allerdings war ein Irrtum.
Sowohl ihr Mann als auch ihre Tochter befanden sich noch auf dem Friedhof.
Und jemand war hinzugekommen.
Thelma schaute noch genauer hin. Die Dunkelheit jedoch verschleierte ihren Blick. Zudem blendete sie das Feuer ein wenig, so daß sie von der dritten Gestalt nicht viel erkennen konnte.
Marion jedoch schien sie zu kennen, denn ihre Tochter hielt sich bei dem Fremden auf.
Thelma schüttelte den Kopf. Sosehr sie auch nachdachte, es gab nichts, was auch nur annähernd einer Erklärung gleichkam.
Auch ihr Mann tat nichts. Er schaute zu, lief dann jedoch los. Das wunderte Thelma abermals, denn er dachte nicht daran, Marion mitzunehmen.
»Dieser Trottel«, schimpfte die Frau, »läßt seinen Liebling einfach zurück. Dem werde ich was unter die Weste schieben, darauf kann er sich verlassen.« Sie nickte heftig, machte entschlossen kehrt und verließ das Schlafzimmer.
Im Flur knipste sie Licht an. Es leuchtete nicht nur oben, sondern auch die untere Etage aus. Dabei schimmerte es auch durch den oberen Glaseinsatz der Haustür. Jason sollte wissen, daß sie wartete, wenn er zurückkehrte.
Auf halber Treppe blieb sie stehen und schaute hinunter in die Diele, die schon mehr einer Halle glich. Es waren nicht ihre Möbel, die dort standen. Als sie das Haus übernahmen, war die Möblierung geblieben. Die Dinge hatten dem Richter gehört. Im Laufe seines Lebens war es ihm gelungen, einige wertvolle Gegenstände zusammenzutragen.
Thelma hatte schon an einen Verkauf gedacht, war bei ihrem Mann und der Tochter allerdings auf taube Ohren gestoßen. Besonders Marion wollte das Andenken des Verstorbenen hoch in Ehren halten.
Thelma hatte für den alten Plunder, wie sie immer sagte, kein Interesse.
Sehen konnte sie Jason nicht, sie hörte nur seine Schritte draußen auf der Treppe. Sie klangen gehetzt. Der Mann war schnell gelaufen, und er stieß so heftig die Tür auf, daß sie fast bis an die Wand schlug. Keuchend blieb Jason Price im Raum stehen, wobei er den Kopf schüttelte und schwer nach Luft schnappte.
»Was hast du?« fragte Thelma besorgt. »Ist dir nicht gut?«
»Du stellst Fragen.«
»Sicherlich.«
Jason Price drehte sich um und donnerte die Tür zu. Als sie ins Schloß fiel, klang es wie ein
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