0259 - Ich stürmte den rollenden Sarg
leid, daß ich Sie erschreckt habe. Aber…«
Barbara Päuse winkte ab. »Schon gut. Es war meine Schuld, denn ich war in Gedanken.«
»Darf ich um Ihren Fahrausweis bitten?«
»Natürlich, gern.« Sie kramte in der gestohlenen Handtasche und holte die Karte hervor, während sich der Schaffner im Abteil umschaute und dabei seine Stirn runzelte.
Er bekam die Karte gereicht, kontrollierte und knipste sie und erkundigte sich, als er sie zurückgab: »Haben Sie kein Gepäck?«
»Nein, nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde abgeholt. Es ist eine Schnapsidee gewesen, schnell nach Dortmund zu fahren, wissen Sie.«
Der Mann nickte. »Ja, das kommt vor. Angenehme Reise wünsche ich noch. Der Speisewagen befindet sich übrigens in der Mitte des Zugs, zwischen der 1. und der 2. Klasse.«
»Danke sehr.«
Der Schaffner verschwand, und Barbara atmete auf. Sie hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet, aber wie hätte er Verdacht schöpfen sollen? Sie war eine normale Reisende, sah aus wie ein Mensch, und nichts wies äußerlich darauf hin, daß sie mit einer gefährlichen Doppelexistenz behaftet war.
Wieder ließ sie sich auf den Sitz fallen. Ein wenig Geld besaß sie noch.
Vielleicht sollte sie doch in den Speisewagen gehen und ein wenig essen. Nein, nur das nicht. Wenn die Verwandlung begann, während sie im Speisewagen saß, nicht auszudenken. Und sie würde kommen, dessen war sie sicher. Sie spürte es immer stärker. Ihr Blut floß schneller durch die Adern. Über die Haut lief ein seltsames Kribbeln. Sie konnte nicht mehr ruhig bleiben, sprang vom Sitz hoch und blieb trampelnd auf der Stelle stehen, als würde sie sich nach irgendwelchen Musikklängen, die nur sie hörte, bewegen.
Ihre Arme fuhren hoch. Die Hände berührten das Gesicht, fühlten die Haut, und sie glaubte, den leichten Flaum zwischen den Fingern zu spüren.
Die Verwandlung begann. Daran gab es nichts mehr zu rütteln. Das andere Ich wurde stärker, und sie würde in den nächsten Minuten ihr Menschsein verlieren.
Sie krümmte sich zusammen, stöhnte, und Speichel rann aus ihrem Mund. Er tropfte auf den Boden, hinterließ dort einen feuchten Fleck, während Barbara Päuse auf die Tür zutaumelte und mit der rechten Hand den Griff suchte.
»Nicht hier!« keuchte sie. »Verdammt, nicht hier in dem Abteil!« Es war ihre große Sorge, denn sie konnte zu leicht überrascht werden. Zweimal mußte sie nachgreifen, dann hielt sie den Griff so zwischen den Fingern, daß sie die Tür aufziehen konnte.
Sie taumelte in den Gang und fiel bis gegen das Fenster. Zum Glück befand sich kein Reisender in der Nähe. So hatte sie freie Bahn und wandte sich nach links.
Am Ende des Wagens befand sich die Toilette. Wenn es eine Chance gab, dann dort. Auf der Toilette konnte sie sich ungestört in eine Bestie verwandeln. Sie mußte nur die Tür abschließen.
Barbara Päuse taumelte weiter. Die Metamorphose war nicht zu stoppen, und sie zehrte an den Kräften der Frau. Ihre Knie wurden weich. Sie kannte das. Es würde nicht mehr lange dauern, dann konnte sie sich nicht, mehr auf den Beinen halten.
Nur bis zur Toilette. Nur diese paar Meter! Die mußten doch zu schaffen sein.
Sie riß sich noch einmal zusammen und wuchtete ihren Körper nach vorn. Dabei taumelte sie und hatte Glück, daß die Toilette nicht besetzt war.
Mit letzter Kraft schaffte sie es, sich in den kleinen Raum zu schleudern, und sie dachte sogar daran, sich umzudrehen und die Tür abzuschließen.
Jetzt war sie einigermaßen sicher.
Schwerfällig und breitbeinig blieb sie stehen. Der Kopf war nach vorn gebeugt. Mit den Armen versuchte sie, das Gleichgewicht zu halten und auch die Schwankungen des Zugs auszugleichen.
Es fiel ihr ungemein schwer.
Ein Beobachter hätte das Gefühl haben können, eine Betrunkene vor sich zu haben. Sie streckte jetzt die Arme vor, drehte sich dabei und fiel gegen Spiegel und Waschtisch.
Halten konnte sie sich nicht mehr. Jemand schien ihr die Beine wegzuziehen, und als sie dann nach dem Rand des Waschtisches fassen wollte, war es bereits zu spät. Da schlug sie voll mit dem Kinn auf die Kante.
Ein undefinierbarer Laut drang aus ihrem Mund. Er erinnerte bereits an das Fauchen eines Wertigers, obwohl ihr Gesicht noch menschliche Züge zeigte. Sie rollte sich auf den Rücken, bewegte zuckend die Schultern, und dann begann sich auch ihr Gesicht zu verwandeln.
Aus dem dünnen Flaum, der bereits überall auf ihrer Haut wuchs, wurde ein dichtes Fell.
Aus
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