026 - Das Totenhaus der Lady Florence
kannten? Winny war ein Mann.«
Larry und Iwan wechselten einen Blick. Larry glaubte, den Forscher
verstehen zu können. Winston Yorkshere war ein gebildeter Mann gewesen, aber
eben doch nur ein Mann – und Mady Stilon war ein Mädchen, das einen Mann begeistern
konnte. Auch einen gebildeten. Auch wenn sie dem Hippie-Kult frönte, so konnte
man auf keinen Fall behaupten, dass sie billig sei. Sie besaß eine gewinnende,
sympathische, sehr weibliche Art.
»Gut, es reicht«, nickte X-RAY-3. »Im Grunde genommen ist es auch – im
Augenblick jedenfalls – egal, auf welche Weise Sie sich kennenlernten.«
Mady Stilon lächelte. Aber ihre Augen lächelten nicht mit.
»Erzählen Sie mir alles über Winny, Mady«, fuhr Larry fort. »Sie wissen,
dass inzwischen der Verdacht aufgekommen ist, Winston Yorkshere könnte einem
Verbrechen zum Opfer gefallen sein.« Larry beobachtete die Wirkung seiner Worte
genau. Es war ihm, als ob das Lächeln auf Madys Gesicht plötzlich gefriere.
»Das – das ist nicht wahr«, stieß sie hervor. Ihre Lippen zitterten. Larry
kniff die Augen zusammen. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Es war
zudem etwas in Madys Gebaren, was ihm missfiel. Seine Menschenkenntnis, die von
erfahrenen Psychologen der PSA nur noch weiter verbessert wurde, war hervorragend.
Es schien, als ob Mady Stilon irgendetwas oder irgendjemanden fürchtete!
Behutsam sprach Larry Brent auf sie ein. Manchmal schien ihm Mady Stilon
gar nicht richtig zuzuhören. Sie war mit ihren Gedanken ganz woanders, und mit
belegter Stimme antwortete sie kurz und leise auf seine Fragen.
Larry wollte über die Arbeit und über die Pläne von Winston Yorkshere etwas
erfahren. Merkwürdigerweise hatte er hier in Bristol so gut wie keine
Forscherkollegen gehabt. Er lebte sehr zurückgezogen. Doch manchmal hatte er
die Stadt verlassen. Was wusste Mady Stilon darüber?
»Er fuhr gelegentlich nach Plymouth oder nach Bideford«, kam es wie ein
Hauch über ihre Lippen. Sie leerte ihr Glas und wich dem Blick des PSA-Agenten
aus. Wahrscheinlich wurde ihr erst jetzt bewusst, dass sie etwas gesagt hatte,
was sie gar nicht hätte sagen sollen. Larry hatte sie durch seine konsequente
und geschickte Fragestellung förmlich überrumpelt.
Plötzlich klirrte es draußen in der Küche. Mady Stilon war sofort auf den
Beinen. »Die Katze. Entschuldigung, ich bin gleich zurück. Wahrscheinlich
kriecht sie auf dem Kühlschrank herum. Sie hat heute Morgen noch keine Milch
bekommen.«
Sie huschte davon. Der Blumenkranz an ihren Lenden wippte.
Mady Stilon öffnete die angelehnte Küchentür und entschwand den Blicken der
beiden Agenten.
Larry presste die Lippen zusammen. Etwas stimmte hier nicht. War das
Geräusch aus der Küche gekommen? Seine Blicke wanderten unwillkürlich zu der
hellgrau lackierten Badezimmertür. Von dort war das Geräusch gekommen! War
außer Mady Stilon noch jemand im Haus, ein menschliches Wesen und keine Katze,
wie sie es behauptet hatte?
Larry Brent starrte hinaus auf den düsteren Flur. Ein schmaler Lichtstrahl
fiel durch den Spalt der ein wenig geöffneten Küchentür.
»Dir gefällt sie auch, Towarischtsch, nicht wahr?« klang da Iwan
Kunaritschews Stimme neben dem Amerikaner. »Wenn ich sie ansehe, dann muss ich
dauernd an einen bestimmten Liedertext denken.«
Der Russe seufzte und fuhr fort: »Kennst du den Song Zwei Apfelsinen im Haar ?« fragte er und pfiff ihn vor sich hin. Es
war ein deutscher Schlager. Iwan Kunaritschew hatte ihn kennengelernt, als er
kürzlich in Deutschland einen Fall zu bearbeiten hatte. »Auf die Melodie würde
auch ganz gut der Text passen: Zwei Margeriten am Busen«, schmunzelte der
Russe.
Larry konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, obwohl ihm in diesem
Augenblick andere Dinge durch den Kopf gingen. Er erhob sich. Mady Stilon
rumorte draußen in der Küche. Es hörte sich an, als ob sie eine Flüssigkeit in
ein Gefäß schütte.
Larry schlich sich auf Fußspitzen an die Küchentür heran und warf einen
Blick durch den Spalt. Das Hippie-Girl wandte ihm den Rücken zu. Larry sah die
wohlgeformten Hüften, den Teil eines abstrakten Gemäldes, das ihren linken
Schenkel zierte.
Larry sah sonst niemand in der Küche. Er hörte nicht einmal eine Katze
schnurren. Seine Blicke schienen die graulackierte Badezimmertür durchbohren zu
wollen. Er gab dem Russen im Hintergrund ein Zeichen, und wie aus dem Boden
gewachsen stand der breitschultrige Freund plötzlich neben ihm.
Larry kam
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