026 - Ich jagte das rote Skelett
denn damit erwies es sich, wie gut sie das Opfer in ihrer Gewalt hatte.
Das lange, kastanienbraune Haar… Es gehörte schon so gut wie ihr!
***
Etwas irritierte Lilly Boyd. Sie blieb stehen und fragte sich, warum sie das tat. Warum ging sie nicht weiter? Sie hatte das Gefühl, von einer undefinierbaren Kraft zurückgehalten zu werden. Wovon wurde sie so stark beeinflußt? Nichts und niemand war zu sehen.
Ganz allein war sie auf der nächtlichen Straße. Das würde sie Elissa Timson nie verzeihen. Nicht einmal wenn Miß Timsons Entschluß, sie hinauszuwerfen, berechtigt gewesen wäre, hätte sie das zu dieser späten Stunde tun dürfen.
Das zeugte von Hartherzigkeit, von Gefühls- und Rücksichtslosigkeit.
Lilly hatte die alte Dame dazu nicht für fähig gehalten, nun aber einsehen müssen, daß sie sich in ihr geirrt hatte.
Der Ruf ging Miß Timson über alles. Was einem Mädchen, das sie nachts auf die Straße setzte, zustoßen konnte, schien sie nicht zu interessieren. Hauptsache am Ruf blieb der glänzende Lack dran.
Ärgere dich nicht mehr über sie, dachte Lilly Boyd. Sie ist es nicht wert. Betrachte dieses Kapitel als abgeschlossen. Du bist um eine Erfahrung reicher geworden. Genaugenommen ist das auch etwas wert. Du wirst dir die Menschen, mit denen du es in Zukunft zu tun hast, mit anderen Augen ansehen.
Aber hatte Lilly Boyd noch eine Zukunft?
Arma lauerte in der Dunkelheit!
Die offene Haustür bewegte sich langsam hin und her. Armas Zauber bewirkte das, doch das konnte Lilly Boyd nicht wissen.
Sie bildete sich mit einemmal ein, die Tür würde sie zu sich winken. Natürlich war so ein Gedanke verrückt, aber Lilly war ja nicht mehr ganz Herr ihrer Sinne.
Ein leises Ächzen schwebte von der Tür an Lillys Ohr. Für sie hörte es sich an, als würde jemand flüstern: »Komm! Komm her!«
Obwohl sie es nicht wollte, ging sie auf die hin und her pendelnde Tür zu. Langsam, zaghaft setzte sie ihre Schritte, aber sie konnte nicht stehenbleiben. Sie fühlte sich wie ein Eisenspan, der sich von einem Magneten unwiderstehlich angezogen fühlt. Die Kraft war nicht sichtbar, aber sie wirkte immer stärker auf sie ein.
»Komm! Komm ins Haus!«
Lilly bekam es mit der Angst zu tun. Sie glaubte, um ihr Leben fürchten zu müssen, und sie wollte sich von dieser unsichtbaren Kraft nicht mehr lenken lassen. Energisch und trotzig brachte sie den Willen auf, keinen weiteren Schritt mehr zu tun.
Reglos stand sie da.
Die Haustür öffnete sich vollends und blieb offen. Eine stumme, unheimliche Einladung, einzutreten. Lilly hatte nicht die Absicht, ihr Folge zu leisten. Doch im nächsten Moment stellte sie erschrocken fest, daß sie bereits wieder weiterging.
Sie betrat das Haus.
Was soll ich hier drinnen? fragte sie sich. Bin ich nicht mehr normal? Kann ich nicht mehr frei entscheiden, was ich tun möchte?
Während sie überlegte, was das alles zu bedeuten hatte, ging sie unaufhörlich weiter und erreichte eine Wohnungstür. Selbstverständlich hatte sie nicht die Absicht, die Wohnung zu betreten.
Dennoch tat sie es. Es hatte sogar den Anschein, sie würde es aus freien Stücken tun. Doch der Schein trog.
Leere Räume. Glatte, weiße, nackte Wände.
Was suche ich hier? fragte sich Lilly Boyd.
Da vernahm sie hinter sich ein Geräusch und zuckte herum. Ihr Herzschlag setzte aus, als sie ein rotes Skelett sah, das sie mit dunklen Augen feindselig anstarrte.
***
Sie prallte zurück. Das glühende Skelett setzte sich in Bewegung.
Lilly Boyd wußte nicht, was sie tun sollte. Sie wurde mit der Tatsache nicht fertig, einem Gerippe gegenüberzustehen, das in der Lage war, sich zu bewegen. Unmöglich! Ausgeschlossen! Verrückt! Das hatte ihr verwirrter Geist dazu zu sagen. Aber es war nicht unmöglich, ausgeschlossen oder verrückt. Dieses Skelett gab es wirklich, und sie fühlte sich von ihm ungeheuer stark bedroht.
Arma machte zwei rasche Schritte auf ihr Opfer zu.
Lilly wich verstört zur Seite.
Arma griff nach Lillys Haaren. Das Mädchen federte zurück und öffnete in großer Eile ihren Trenchcoat. Blitzschnell zog Lilly Boyd den Mantel aus. In der nächsten Sekunde warf sie ihn dem Skelett bereits über den Kopf. Sie wollte sich auf diese Weise eine Fluchtmöglichkeit verschaffen.
Der Trenchcoat landete auf dem glühenden Skelett. Es stank sofort nach versengtem Stoff. Rauch qualmte auf. Brandlöcher bildeten sich an vielen Stellen. Im Nu fing der Mantel Feuer.
Arma fegte sich das brennende
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