0262 - Leonardos Knochenhorde
und beobachte alles. Diese Angelegenheit liegt mir am Herzen. Ich verfolge sie sehr aufmerksam. Nun tu, was du tun mußt.«
Im nächsten Moment war er verschwunden.
Gryf faßte sich an die schmerzende Stirn. »Unfaßbar«, murmelte er. »Der Teufel hilft uns gegen seinen eigenen Abgesandten… auf welche feine Goldwaage doch manchmal Versprechen gelegt werden…«
Aber wurden sie das nicht auch im negativen Fall?
Dennoch war Gryf überrascht. Mit allem hätte er gerechnet. Nicht aber damit, daß ausgerechnet der Fürst der Finsternis selbst zugunsten Zamorras in das Geschehen eingriff…
Das war einmalig, und Gryf ahnte, daß noch mehr dahintersteckte als das, was Asmodis verraten hatte…
***
Zamorra öffnete die Augen. Immer noch schmerzte jede einzelne seiner Nervenfasern, und er brauchte einige Zeit, wieder halbwegs aufnahmefähig zu werden. Er zwang sich mit autogenem Training zur Ruhe, drängte den Nervenschmerz zurück.
Eine äußerst interessante Abart des magischen Schirms, überlegte er bitter. Sein eigener »weißer« Schirm hatte damals Dämonen niederen Ranges ausgelöscht, wenn sie mit einem derartigen Affenzahn hineinrauschten wie er vorhin. Höhere Dämonen wurden so schmerzhaft wie nachhaltig zurückgeschleudert.
Dieser schwarze Schirm Leonardos dagegen war wohl schmerzhaft, hatte Zamorra, den Weißmagier, aber hindurchgelassen. Allerdings nur in betäubtem Zustand. Nun, eigentlich kein Wunder. Es gehörte zu Leonardos Charakter, daß er Feinde nicht zurückwarf oder sofort tötete, sondern gefangennahm, um mit ihnen zu spielen wie die Katze mit der Maus.
Zamorra sah sich um. Er befand sich in einem großen Saal, den er kaum wiedererkannte. Hier waren früher kleinere Feste gefeiert worden. Jetzt gab es kein elektrisches Licht mehr, sondern Tausende von Kerzen. Einige wurden gerade von einem willenlosen Sklaven erneuert, der im Hintergrund werkelte. Zamorra erkannte den Mann, jener aber erkannte ihn seinerseits nicht. Unter dem Zwang Leonardos hatte er nur Sinn für seine Aufgabe, für sonst nichts.
Der Knochenthron auf einem Podest beherrschte den Saal. Zamorra versuchte erst gar nicht zu schätzen, aus wie vielen menschlichen Gerippen dieses furchtbare Möbelstück bestand, auf dem der fette, untersetzte Leonardo hockte. Sein Aussehen erfüllte Zamorra sekundenlang mit grimmigem Triumph. Als der Montagne auf die Erde gesandt wurde, hatte er einen hünenhaften, sportlich durchtrainierten Adoniskörper. Nach seiner Auseinandersetzung mit Zamorra hatte sich dies geändert. Jetzt sah er etwa so aus wie damals zur Zeit des ersten Kreuzzuges, den Zamorra bei einer Reise in die Vergangenheit miterlebt hatte. Damals war er auch Zeuge der Entstehung des Amuletts geworden.
Das Amulett! Deutlich sichtbar hing es vor Leonardos Brust!
Der häßliche Mann grinste. »Guten Morgen, mein lieber Zamorra«, kicherte er. »Ich möchte dir jemanden zeigen. Sieh nach rechts.«
Zamorra folgte der Aufforderung.
Da sah er, fast hinter sich, das nackte Mädchen, das an die Wand gekettet war. Kette und Halsring waren schwer und drückten Uschi Peters nieder, bloß konnte sie sich nicht einmal setzen, um sich zu entlasten, weil die Kette dafür wiederum zu kurz war!
»Allein das wäre ein Grund, dir den Hals umzudrehen«, sagte Zamorra. »Aber es gibt ein paar tausend anderer Gründe.«
Der Montagne lachte.
»Du nimmst den Mund reichlich voll! Liegt das daran, daß du ungefesselt bist? Soll ich dich in Ketten legen lassen? Du brauchst es nur zu sagen!«
Zamorra erhob sich langsam. Mehr und mehr spürte er, wie er sich wieder unter Kontrolle bekam. Der Schmerz schwand fast völlig. Er spie auf den kalten, glatten Boden.
»Du bist ein Narr, Leonardo. Selbst in Ketten würde ich dich noch in Stücke reißen. Du hast einen Fehler begangen, als du mich hierher holtest.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte der Montagne. »Aber du bist gesprungen wie ein junges Reh, nicht wahr? Selbst der mächtige Zamorra tanzt, wenn ich pfeife!« Er brach erneut in Gelächter aus.
Zamorra zwang sich dazu, ihn nicht zu hassen. Er mußte kalt bleiben, durfte sich nicht von Gefühlen hinreißen lassen.
»Schön«, sagte er. »Wenn du dich beruhigt hast, kannst du das Mädchen freilassen. Ich bin gekommen, wie du es wolltest. Jetzt halte du deinen Teil des Abkommens.«
Leonardos Lachen brach ab. Der fette Mann, der einer Kröte gleich, auf seinem Knochenthron saß, beugte sich ein wenig vor.
»Abkommen?« schrie er.
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