0264 - Die Invasion der Toten
eigentlich schon seit fünfzigtausend Jahren tot sind. Das wird Ihnen und auch mir ein Trost sein."
Seine dröhnende Stimme brach ab. Tolot litt wieder unter seinen ausgeprägten Mutterkomplexen.
Die Menschheit der Realzeit war sozusagen sein Hobby. Er hatte sie in sein Herz - oder in seine beiden Herzen geschlossen. Tolot war ein eingeschlechtliches Lebewesen. Jeder Terraner war „sein Kleines".
Für ihn der unter solchen Mentalitätsbegriffen zu leiden hatte, mußten die Ereignisse noch viel aufwühlender sein.
„Wir machen Ihnen keine Vorwürfe, Freund", betonte Perry. „Bitte, fahren Sie fort."
Tolot breitete die vier Arme aus. Seine Augen leuchteten wieder im gewohnten Rot. Sie stachen wie glühende Kugeln aus dem schwarzhäutigen Riesenschädel hervor.
„Sie haben recht, Sir. Wir sollten die moralischen Gegebenheiten in der jetzigen Situation sekundär bewerten. Ich wollte Ihnen etwas über die Zeitverschiebung sagen. Unsere Versetzung in die Vergangenheit erfolgte durch die Erzeugung eines absoluten Nullfeldes. Es handelt sich dabei um einen Zeitwandler, dessen Energiebedarf nur von einer großen Sonne gedeckt werden kann. Vario ist nichts anderes als ein Wandelfeldgenerator von ungeheuren Ausmaßen. Der Wandler durchbricht die Krümmungslinie der sechsten Dimension und der differierenden Zeitebenen, ohne jedoch die Bezugsachse zu verändern. Die halutischen Forschungen, die nunmehr verboten sind, weisen aus, daß eine Berührung der Bezugsachse eine Katastrophe heraufbeschwören müßte. In diesem Falle würde die Rückläufigkeit des Vorganges die Achsenebene so radikal verschieben, daß man eine Parallelzeit, mit ganz anderen Entwicklungsstufen erreichen müßte. Es könnte beispielsweise geschehen daß wir eine von intelligenten Affen besiedelte Erde vorfinden würden, auf der der Mensch als belustigendes Schauobjekt in Käfigen ausgestellt wird."
Oberstleutnant Brent Huise, unser Erster Offizier, begann zu lachen. Als er unsere ernsten Gesichter bemerkte, verstummte er mit einem verlegenen Hüsteln.
Tolot wuchtete seinen tonnenschweren Körper herum und kam auf uns zu. Sein zweistündiger Vortrag schien beendet zu sein. Er schloß mit den Worten: „Prinzipiell betrachtet, gehen uns die Ereignisse in dieser Zeitebene nichts an. Es ist eine Pseudozeit. Es ist einzig und allein wichtig, den Rückweg nach Andromeda zu finden und dort zu versuchen, mit Hilfe der Zeitfalle Vario die Realzeit zu erreichen. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß dieser Verwandlungsplanet ständig in Betrieb ist; sowohl rückläufig als auch zukunftsweisend. Ich pflichte der positronischen Auswertung bei, die feststellte, daß sich die 'Meister der Insel' ihr Menschenmaterial aus der Vergangenheit holen. Daraus kann nicht unbedingt gefolgert werden, daß diese Unbekannten ebenfalls Menschen sind oder von Lemurern abstammen. Die Möglichkeit ist jedoch gegeben. Sollte es sich um späte Nachkommen der Lemurer handeln, so müssen sie über eine technische Macht verfügen, die noch viel größer ist, als wir ahnen. Ich kann jetzt schon mit absoluter Sicherheit behaupten, daß die Sonnentransmitter ein Erzeugnis der lemurischen Wissenschaft sind. Die frühe Menschheit muß ein Wissen besessen haben, dem gegenüber die Erkenntnisse der neuen Menschheit einigermaßen kläglich sind."
Ich schaute Rhodan an. Er saß rechts von mir an der oberen Schmalseite des Tisches und machte sich Notizen. Sein Gesicht war unbewegt. Ich war froh, daß er den Schock überwunden hatte.
Tolot setzte sich in seinen Spezialsessel. In ihm hätten fünf Mann bequem Platz gefunden.
„Diese Aussage soll keine Diskriminierung sein, Sir. Tatsachen bleiben immer Tatsachen. Sie können auf Ihre Vorfahren stolz sein. Die Menschheit hatte etwa fünfzigtausend Jahre vor Christi Geburt einen wissenschaftlich-technischen Stand erreicht, den in der Realzeit kein anderes Volk der Galaxis hatte aufweisen können. Wir existieren jetzt auf dieser Weltebene. Haben Sie beobachtet, daß die Schiffe der Kahalo-Wachflotte wie selbstverständlich mit einem linearen Hyperantrieb fliegen?"
Ich nickte. Tolots Art, ein Thema zu zerpflücken, wirkte auf mich immer faszinierend.
Er winkte mir zu. Sein Gesicht mit dem rachenartigen Mund ließ wie immer keine Rückschlüsse auf seine Gefühle zu.
„Das ist gut. So möchte ich daran erinnern, daß die Arkoniden bei ihrer Ankunft auf dem irdischen Mond im Jahre 1971 Raumschiffe mit Transitionstriebwerken verwendeten.
Weitere Kostenlose Bücher