0264 - Nachts, wenn der Wahnsinn kommt
stottern.
»Ich…Ich wollte nur…«
»Sag es, Kind!« Die Stimme klang überfreundlich. Und wenn die Propow so redete, hielt sie zumeist einen Trumpf in der Hinterhand.
»Nur mit Ihnen reden wollte ich.«
»Du hättest mir Bescheid sagen müssen. Oder kennst du die Regeln nicht mehr?«
»Schon, aber…«
Elena Propow streckte den Arm aus. »Bitte«, sagte sie. »Geh in mein Büro, da können wir uns unterhalten.«
Während sich die Frau hinter ihren Schreibtisch setzte und die Hände auf die Platte legte, blieb Carla stehen. »Was wolltest du also von mir, Kind?«
»Es geht um Franca.«
»Du glaubst mir nicht, wie?«
»Nein, ich…«
Elena Propow hob die Schultern, streckte den Arm aus, Griff den Telefonhörer und reichte ihn dem Mädchen. »Bitte, du kannst die Eltern der Franca Mundi anrufen.«
»Aber das Telefon funktioniert…« Jetzt hatte sie sich verraten, und Carla schlug sich hastig gegen die Lippen.
»Wieso?« Die Frau lächelte. »Was ist mit dem Telefon?« Elena Propow spielte: eine Komödie vor. Sicherlich wußte sie haargenau Bescheid, doch sie tat so, als würde sie die Funktionsuntüchtigkeit des Apparates erst jetzt erfahren. Sie hielt den Hörer gegen das Ohr und nickte. »Das ist ein Ding«, sagte sie. »Es ist tatsächlich nicht in Ordnung Kein Freizeichen, nichts.« Sie schüttelte den Kopf. »So was. Dann werde ich mal dem Fernmeldeamt Bescheid geben lassen.« Sie blickte zu Carla hoch. »Ich schätze allerdings, daß du gegen Abend oder frühestens am nächsten Tag Franca und deren Eltern anrufen kannst. Bist du damit einverstanden?«
»Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig.«
»Ja, mein Kind, das sehe ich auch so.«
Elena Propow warf einen Blick auf das Zifferblatt ihrer schmalen Armbanduhr. »Es wird Zeit für dich, Carla. Die anderen haben bereits mit dem Training begonnen.«
Sie nickte. »Ja, ich gehe dann.«
Das Mädchen war schon an der Tür, als die Stimme der Frau es einholte. »Carla!«
Sie drehte sich um Elena hockte hinter dem Schreibtisch und hatte die Lippen verzogen.
»Ich gebe dir einen Rat, Kind. Mach dich hier nicht unbeliebt. Dann hilft dir niemand, auch dein Vater nicht. Verstehst du?«
Carla stellte sich extra stur. »Nein, Signora Propow, ich verstehe nicht.«
Die Frau beugte sich vor. »Sei froh, daß du nicht verstehst, sei froh, Kind, denn hier lauern Kräfte, denen wir beide nichts entgegensetzen können. Und sie sind die wahren Beherrscher dieser Schule. Denke immer daran.« Nach diesen eindringlichen Worten setzte sich die Leiterin des Internats wieder so hin, als wollte sie weiterarbeiten. Für sie war das Gespräch beendet, und das merkte auch Carla Bergamo, denn sie verließ das Büro.
An diesem Vormittag stand Training auf dem Programm. Am Nachmittag begann die Schule.
Es war ein verflixt hartes Pensum, das die Schülerinnen zu erledigen hatten. Freizeit gab es kaum Wenn, dann wurde sie durch intensives Schlafen ausgenutzt.
Doch Carla Bergamo wollte keinen Mittagsschlaf halten. Sie hatte die Worte der Frau genau verstanden. Sie waren eine Warnung gewesen, und Carla war fest entschlossen, sich dieses Haus einmal näher anzusehen. Besonders die Räume, die für Schüler tabu waren…
***
Ich glaubte, mich verhört zu haben. Was wollte dieser Verbrecher? Mit uns zusammenarbeiten?
Das mußte ein Witz sein.
Ich sagte es dem Mann auch.
»Nein!« erwiderte er kalt, »es ist kein Witz. Sie werden auf meiner Seite stehen. Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, denn es geht um ein oder vielleicht um 20 Menschenleben.«
»Sind Sie nicht stark genug, um den Tod der Menschen verhindern zu können?« fragte ich.
»In diesem Falle nicht.« Plötzlich klang seine Stimme müde. Er senkte den Kopf und hob die Schultern. Fast hilflos wirkte diese Geste.
Mitleid mit einem Killerboß? Sollte ich das haben? Schließlich hatte mir der Mann zu verstehen gegeben, daß er uns töten wollte und aus bestimmten Gründen nur Abstand davon genommen hatte.
Es dauerte Sekunden, dann hatte er sich wieder gefangen, und er sagte:
»Sie sind hergekommen, weil Sie einen Fall aufklären wollten. Dieser Fall liegt auch in meinem Interesse. Ich habe die Erdbeben genau verfolgt und kenne auch die alten Geschichten, daß es sich dabei um einen Dämon handeln soll, der in der tiefen Erde liegt. Gehen wir davon aus, daß es stimmt und dieser See im Stein tatsächlich existiert, dann muß er gewandert sein, wie mir auch Bricci bestätigte, als wir darüber sprachen. Und
Weitere Kostenlose Bücher