0264 - Nachts, wenn der Wahnsinn kommt
und um an die Spitze zu kommen, braucht man nicht nur Raffinesse, sondern auch eine gehörige Portion Härte, Brutalität und auch Rücksichtslosigkeit.
Das besaß der alte Bergamo natürlich, und ein Teil dieser Anlagen war auch übergegangen auf seine Tochter.
Carla Bergamo besaß trotz ihrer Angst die Kraft, um ihre gewisse Härte zu mobilisieren. Sie wollte nicht mehr das kleine Mädchen sein, das nur gehorchte.
Nein, sie würde kämpfen!
Carla schluckte. Ihr Gesicht veränderte sich. Steif wurden die Züge, die Augen verengten sich. Sie ballte die Hände zu Fäusten und sagte: »Geh mir aus dem Weg!«
Die Propow schüttelte den Kopf. »Nie, kleine Carla. Hier bin ich die Stärkere. Ich hatte dich gewarnt, du hast nicht auf mich gehört. Nun mußt du die Folgen tragen!«
»Hau ab, du Mörderin!«
Da lachte die Propow. »Hast du das deinem Vater auch schon ins Gesicht gesagt?«
Carla ließ sich nicht beirren. Sie stand nicht eben auf der Seite ihres Erzeugers.
In diesem Falle jedoch spürte sie ein Zusammengehörigkeitsgefühl, und das machte sie dieser Propow auch klar.
»Mein Vater ist kein Vorbild, weiß Gott, aber mit der Sache hier hat er nichts zu tun. Dafür bist du allein verantwortlich. Ich weiß nicht, was du hier treibst und mit welchen schrecklichen Mächten du hier zusammenarbeitest, aber mich bekommst du nicht. Ich werde diesen Tunnel verlassen. Geh mir aus dem Weg!«
»Nein!«
Carla Bergamo wußte nun, daß Worte nichts mehr halfen. Sie mußte zu anderen Methoden greifen. Und wenn Worte nichts mehr nützten, gab es nur noch die Gewalt.
Die setzte sie auch ein!
Der Angriff wirkte im ersten Augenblick tänzerisch, als Carla ihr rechtes Bein in die Höhe schwang. Sie wollte jedoch keinen Turnschritt ausprobieren, sondern das Gesicht der Frau treffen.
Das schaffte sie.
Sie hörte sogar das Klatschen, als die Sohle des Turnschuhs unter das Kinn hieb. Die Frau wurde zurückgeworfen. Sie ruderte mit den Armen, hatte mit dem Gleichgewicht große Mühe. Sie stolperte, schnellte allerdings in derselben Sekunde wieder auf die Füße und fing den nächsten Tritt des Mädchens mit beiden Händen ab.
Gedankenschnell schlangen sie sich um den rechten Knöchel der Carla Bergamo. Die Propow wuchtete den Fuß herum, von Carla besaß nicht die Geistesgegenwart wie ihre Gegnerin.
Sie prallte zu Boden. Er war zum Glück nicht so hart, dämpfte den Fall, und das widerliche Weibsstück hinter Carla lachte auf.
»So kommst du mir nicht weg, kleine Carla!« zischte sie. »Ich werde dich vernichten, so wie ich auch die anderen vernichtet habe. Gorgos wartet, und du sollst eine Gorgose werden, das verspreche ich dir!« Während dieser Worte hatte sie sich nach vorn und auf Carla geworfen, wobei sie ein angewinkeltes Knie in den Rücken des Mädchens drückte.
Carla spürte den Schmerz. An einer empfindlichen Stelle war sie getroffen worden. Ohne daß sie es wollte, verließ ein Schrei ihre Kehle.
Die Propow lachte. »Ja, schrei nur!« keuchte sie. »Schrei, denn dich hört hier niemand, das ist sein Reich. Hier befiehlt er. Hier bekommt er seine Opfer!«
Carla hörte die Worte der Frau. Allein, sie wollte sich nicht danach richten. Noch lebte sie, und sie hatte sich noch nie unterkriegen lassen.
Deshalb gab sie sich nicht auf, versuchte sich auf der Erde abzustemmen, doch das Gewicht der Propow ließ es nicht zu. Je mehr Druck das Mädchen aufbrachte, um so stärker wurde der Gegendruck des Knies und damit auch der Schmerz.
»Du kleines Biest«, lachte die Propow. »Glaubst du eigentlich, daß du mich besiegen kannst?« Sie wuchtete ihre Arme nach vorn, die Hände packten die Schultern der Schülerin, griffen zu wie Zangen, und dann schüttelte die Propow sie durch.
Auch Carlas Kopf blieb nicht verschont. Die Propow setzte eine so große Kraft ein, daß er nach vorn gedrückt und gleichzeitig das Gesicht gegen die seltsame Nase am Boden gepreßt wurde.
Carlas Laute erstickten.
Elena Propow war besessen von ihrem Haß. Sie dachte an nichts anderes mehr als an die Vernichtung des Mädchens und an das Opfer für ihren Dämon.
»Gorgos wird dich holen! Der Kristallgötze hat sein Ziel erreicht!« keuchte sie. »Die lange Wanderung ist endlich vorbei. Endlich…« Nach diesen Worten hörte das Schütteln auf. Carla bekam wieder ein wenig Ruhe.
Sie lag noch immer auf dem Boden, hob den Kopf und starrte nach vorn.
Dort tat sich etwas.
Bisher hatte sie unter der toten Maria oder an ihr vorbei in den
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