0276 - Ghouls in der Stadt
noch zu verhöhnen«, murmelte Zamorra bitter. »Du weißt genau, daß ihr alle tot wäret, würde es wirken.«
»Nun, vielleicht können wir es aktivieren«, sagte der Ober-Ghoul. »Gib es mir!« Gebieterisch streckte er die Klauenhand vor.
Schulterzuckend zog sich Zamorra das Silberkettchen über den Kopf. Er versuchte einige der Hieroglyphen zu verschieben und Merlins Stern damit doch noch zu wecken, aber es gelang ihm nicht.
Der Ghoul riß ihm die Silberscheibe aus der Hand.
»Ein schwarzer Schatten liegt darüber«, flüsterte er und kicherte wieder. »Der Schatten eines Großen, den die Hölle ausspie … ich erkenne ihn. Er war mächtig … lebt er nicht mehr?« Fast erschrocken sah er Zamorra fragend an. »Was geschah mit jenem, der dir deine Waffe nahm und sie neu prägte?«
»Leonardo?« Zamorra lachte gallig auf. »Leonardo deMontagne? Als ich ihn zuletzt sah, steckte eine geweihte Silberkugel in seiner Stirn, und er lag sterbend am Boden! Das Böse, das Schwarze, das Dämonische unterliegt immer, Ghoul! Vielleicht ist auch dein Ende näher als du ahnst.«
Der Ghoul lachte keckernd. »Träume ruhig weiter, Zamorra. Leonardos Macht lebt noch in diesem Instrument. So werden wir diese Macht wecken. Rasch, handelt!« Und er warf das Amulett einigen anderen zu, die sofort einen Kreis darum bildeten. Zamorra glaubte ein magisches Kraftfeld spüren zu können, das dort entstand.
Er fragte sich, was die Ghouls wirklich wollten. Wenn sie ihn hätten töten wollen, hätten sie das längst schon gekonnt. Sie beabsichtigten etwas anderes. Aber was?
Plötzlich fühlte er die Verbindung. Merlins Stern erwachte! Doch abermals war es die finstere Seite der Macht, die in Erscheinung trat. Leonardos Prägung … Zamorra erschauerte. Gab es denn keine Möglichkeit, diesen Einfluß ein für allemal auszuschalten, das Schwarze zu blocken, zu zerstören?
Aber vielleicht war es schon in der Anlage des Amuletts vertreten. Zamorra entsann sich der Entstehung der Silberscheibe. Er war ja selbst dabei gewesen, damals, in der Vergangenheit im alten Jerusalem, frisch erstürmt und erobert von den Rittern des ersten Kreuzzuges unter Gottfried von Bouillon. Damals hatte Merlin einen Stern vom Himmel geholt und aus der Kraft einer entarteten Sonne das Amulett geformt.
Eine entartete Sonne … barg sie nicht das Böse in sich? Konnte daraus denn wirklich auf Dauer etwas Gutes erwachsen?
Zamorra schüttelte diese Gedanken wieder ab. Sie halfen ihm hier nicht weiter. Er rechnete damit, daß die Ghouls versuchen würden, ihn jetzt mit dem negativ gepolten Amulett anzugreifen. Vielleicht war es das, was sie wollten: ihn, den Dämonenjäger, mit seiner eigenen Waffe vernichten!
Um so erstaunter war er, als einer der Ghouls ihm das aktivierte Amulett wieder zuwarf. In einer Reflexbewegung fing er es auf, umschloß es mit der linken Hand.
Noch bevor er sich fragen konnte, was das nun wieder sollte, gellte ihm der vielstimmige Schrei ins Ohr: »Fahr zur Hölle, Zamorra! Zur Hölle!«
Und im nächsten Moment stürzte er in einen bodenlosen Abgrund.
Der gefräßige Schlund der Hölle packte ihn und verschlang ihn.
Zamorras Höllenfahrt begann.
***
Ein wachsames Augenpaar verfolgte Nicole, wie sie den Wagen vor dem Hauptportal des Friedhofs stoppte. Sie stieg aus, schloß den Wagen sorgfältig ab und passierte die Wächter. Inzwischen brach die Abenddämmerung herein; die Zeit war rascher verstrichen, als Nicole gedacht hatte.
Sie orientierte sich auf dem teilverwüsteten Friedhof und versuchte so nah wie eben möglich an ihr Ziel zu kommen. Dort, wo ihrer Spinnennetzzeichnung nach der Mittelpunkt des Labyrinths von Gängen sein mußte und damit wohl auch der Mittelpunkt des Ghoul-Reiches, gab es keinen direkten Einstieg. Die Erdlöcher, aus denen in der vergangenen Nacht die Unheimlichen hervorgebrochen waren, verteilten sich in einem ersten weiträumigen Kreis um das Zentrum.
Vor einer dieser Öffnungen blieb Nicole stehen. Hier war Erde aufgeschüttet worden und umgab das Loch. Aber in einem Meter Tiefe zeigte es sich verschlossen. Nicole wunderte sich darüber nicht. Wenn sie sich dort unten in der Tiefe hätte verbergen müssen, sie hätte auch Sorge dafür getragen, daß der Zugang wenigstens halbwegs verstopft wurde.
Dies war auch etwas, worüber die Kriminalisten schlußendlich gestolpert waren – die Löcher mündeten nicht in Höhlengänge, sondern waren einfach nur Löcher im Boden. Die Mühe, nachzugraben und
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