0276 - Ghouls in der Stadt
daß man ihn selbst anrief. In der Hierarchie der Höllenmächte war er nicht der Größte, aber auch nicht gerade ein kleines Licht, sonst hätte er sich niemals so viele Jahrtausende als Fürst der Finsternis und Herr der Schwarzen Familie behaupten können. Aber in aller Regel wandten sich jene, die einen Vertreter des Dämonenreiches beschworen, an andere rangniedrigere Dämonen und Teufel – oder sie besaßen nicht die Macht, Asmodis zu zwingen.
Denn nichts haßt ein Dämon mehr, als beschworen zu werden und einem Sterblichen dienen zu müssen. Herausgerissen zu werden aus anderen Beschäftigungen. Nur die Genugtuung blieb, daß der Beschwörer sich dadurch auch in die Hand des Dämons begab, sobald die Stunde seines Todes gekommen war. Dann diente die unsterbliche Seele des Menschen dem Dämon als Sklave bis in alle Ewigkeit.
Im allgemeinen hatte Asmodis nicht die geringste Lust, sich beschwören zu lassen. Was waren für ihn schon Seelen? Er strebte andere Macht an, ihn ließ dieses niedere Vergnügen, über Seelen zu herrschen, kalt. Und so widersetzte er sich in aller Regel den Versuchen irgendwelcher Zauberkünstler, ihn zu sich zu rufen. Zuweilen erwischte deren Suchstrahl dann einen anderen, niedrigeren Dämon, auf den Asmodis ihn ablenkte, und weil jener nicht der Gerufene, sondern ein anderer war, kam es dabei zu für Asmodis recht amüsanten Geschehnissen. Denn über jene Ungerufenen besaßen die Beschwörer keine Macht.
Diesmal aber war es anders. Der Sog der Beschwörung war zu stark. Jemand rief, der mit intensiver schwarzmagischer Kraft arbeitete. Grimmig nahm Asmodis eine andere Gestalt an und folgte dem Ruf durch die Pforte zwischen den Räumen und Zeiten, die in die Nähe des Beschwörers führte.
Er erschien.
Er erschien im Bannkreis, aber er wußte sofort, daß dieser Kreis ihn nicht würde halten können. Die Macht war stark, aber ihre Kontrolle schwach. Hohnlachend trat Asmodis aus dem Zauberkreis heraus und sah sich um.
Seine buschigen Brauen trafen sich über der Nasenwurzel, als er die Stirn in tiefe Falten legte. Seine mächtigen Teufelshörner krümmten sich stärker, und in seinen Augen flammte es unheilverkündend auf. Er rümpfte die Nase.
»Wen sehe ich da?« brüllte er. »Wessen Gestank beleidigt meine Nüstern? Ghouls? Habt ihr den Verstand verloren, mich zu rufen?«
Ausgerechnet Ghouls, die Verachtenswertesten der Dämonischen! Die schleimigen Stinker, mit denen sich kein Dämon ernsthaft abgab! Welchen Sinn ihre Existenz besaß, entzog sich selbst Asmodis’ Begreifen, aber der Höllenkaiser LUZIFER mußte sich wohl etwas dabei gedacht haben, als er nach seinem Abfallen von Gottes Thron die zweite Schöpfung einleitete und das Höllenreich errichtete.
»Fürst, wir haben dich gerufen, weil wir dir etwas Besonderes anbieten wollen«, zischelten die Schleimigen. »Höre uns an …«
»Was könnt ihr Erbärmlichen mir schon bieten?« fauchte Asmodis. »Ihr müßt wirklich den Verstand verloren haben, mir etwas anbieten zu wollen. Wißt ihr nicht, daß ich mir nehme, was ich will – wenn ich will?«
»Erhabener Fürst …«
Der erhabene Fürst streckte seine Hand aus. Flammen tanzten um seine Finger, vereinigten sich zu einem dunkelroten Feuerstrahl, der auf die Gruppe der sieben Ghouls zujagte und zwei von ihnen schlagartig auslöschte. »Laßt euch das eine Lehre sein«, schrie Asmodis zornig. »Niemand stört ungestraft die Ruhe des Fürsten!«
Und durch den Zauberkreis kehrte er zurück in seinen Bereich der Hölle, in welchem er residierte …
***
Pierre Devon lächelte. »Tut mir leid, aber Klaus Neubecker ist nicht mehr hier. Yvonne hat ihn mitgenommen nach Imphy. Er wollte nicht hier bleiben, auf keinen Fall. Und er hat ja auch Recht. Ich an seiner Stelle würde mich auch so weit wie möglich entfernen. Sehen Sie, dort draußen auf der Straße – dort hat er gelegen. Die Ghouls hätten ihn fast umgebracht.«
Nicole trat zum Fenster und sah hinaus. In einiger Entfernung lag der Friedhof. Von hier aus ließen sich keine Einzelheiten erkennen. Der Gottesacker bot einen friedlichen Anblick, und nur das Wissen um die furchtbaren Dinge erinnerte Nicole daran, wie sehr dieser Schein trog.
»Vielleicht ist er unterwegs noch gefährdeter als hier«, sagte Nicole. »Wer weiß denn, ob die Ghouls ihn als Zeugen, als Mitwisser, entkommen lassen?«
Pierre lachte leise. »Mademoiselle – inzwischen weiß auch der letzte Uhu in Fleury von den Ghouls. Da
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