0279 - Der Zauberer von Venedig
bleiben.
Sonderbare Sprüche vor sich hinbrabbelnd, holte Amun-Re aus einem der Schränke nun eine schön geschliffene Schüssel aus purem Bleikristall und rückte sie in die Mitte des Tisches, daß er an die kochenden Säfte gelangen konnte, daß aber gleichzeitig die Monsterfiguren von dem Dampf, der aus den Glasgefäßen stieg, bereits umnebelt wurden.
Befriedigt stellte der Zauberer fest, daß alles an seinem rechten Platz stand.
Aus einer Falte seines Gewandes zog er einen Kreidestift hervor. Sorgsam begann er die Linien des magischen Kreises dort, wo sie durch achtloses Hin- und Hergehen zerstört waren, nachzuziehen. Mit besonderer Sorgfalt überprüfte er, daß sich die Siegel der Blutdämonen von Atlantis, die er nun anrief; in einwandfreiem Zustand befanden. Er wußte nur zu gut, daß Jhil, die gräßliche Göttin mit dem Papageienschnabel, nur darauf wartete, über sein Unsterbliches, herfallen zu können. Doch auch Yob-Soggoth, der Vielgestaltige, und Gromhyrrxxa, das fliegenköpfige Insektenwesen, waren ihm nicht wohlgesinnt. Ein geringer Fehler nur in der Beschwörung oder eine kleine Veränderung der Siegel und es war geschehen. Den Dämonen des alten Atlantis machte es nichts aus, wenn sie weiterhin an jenem Ort zwischen Zeit und Raum vor sich hindämmern konnten. Denn in den Schriften der Weisen steht geschrieben, daß Götter, die nicht mehr von den Sterblichen verehrt werden, in den Schlaf des Vergessens versinken und dahindämmern, bis durch eine Laune des Schicksals die Opferfackel ihrer Altäre wieder entzündet wird.
Da seit der Rückkehr von Amun-Re aus der Welt der Toten die Blutgötzen wieder angerufen wurden, waren sie wieder aus ihrem Dämmerschlaf erwacht. Nur, daß Amun-Re noch nicht die Macht hatte, sie in all ihrer Fürchterlichkeit in diese Dimension hinüberzuholen.
Mit einem Kopfnicken stellte Amun-Re fest, daß der Zirkel ordnungsgemäß ausgeführt war. Mochte auch Tsat-hogguah selbst erscheinen - gebunden durch ewige Gesetze würde es auch ihm nicht gelingen, die Linien aus violetter Kreide zu überschreiten.
Amun-Re holte tief Luft. Dann begann er, eine unheilige Litanei in der Sprache des verlorenen Kontinents zu singen. Verstummte seine Stimme, begann wie von Geisterhand das Spinett die letzten Töne noch einmal nachzuspielen. Amun-Re beachtete nicht, wie sich die Tasten des kostbaren Instrumentes selbständig nach unten drückten, um einen oder mehrere Töne grell aufklingen oder sanft anschwellen zu lassen.
Eine Melodie, die es nach den Gesetzen irdischer Musik nicht geben durfte. Vom ganzen Aufbau der abartigen Klänge war der Gesang ein Hohn auf alles, was je aus der Vielfalt der Töne und Tonfolgen zusammengestellt wurde. Und doch zeigte es Wirkung.
Je länger Amun-Re bestimmte Melodiefragmente vor sich hinsummte und sie vom klirrenden Klang des Spinetts wiederholt wurden, um so höher schlugen die Flammen unter den Glasgefäßen. Amun-Res finsteres Gesicht wurde eine Spur freundlicher, als er die kleinen Luftblasen der kristallklaren Sude nach oben steigen sah.
Dann einige plötzliche Handbewegungen des Zauberers und es war geschehen. Ohne die Hitze des Glases zu verspüren, ergriff Amun-Re die Gefäße mit den kochenden Substanzen und goß sie in die Schüssel aus Bleikristall. Grünblaue Nebel stiegen auf, als die ungleichen flüssigen Materien aufeinandertrafen. In rascher Reihenfolge leerte Amun-Re die Behälter.
In der Kristallschale begann es zu kochen. Denn die Substanzen waren feindlich gegeneinander eingestellt und dachten nicht daran, sich miteinander zu verbinden. Es war, als würde ein unermeßlicher polarer Gletscher mit der glutflüssigen Lava eines explodierenden Vulkans aufeinandertreffen. Die Flüssigkeiten tobten umeinander, daß ein Bild entstand, wie es ein Geisteskranker malt, wenn man ihm Pinsel und Farbe liefert. Nur, daß sich dieses Bild mit jedem Sekundenbruchteil völlig veränderte.
Der Gesang des Amun-Re brach nicht ab. Er wurde um eine Oktave höher und schien die Wut der in die Kristallschale gefesselten unheiligen Elemente noch mehr herauszufordern.
»Leben! Leben!« bedeutete der Sang von Amun-Re. »Erwache Leben, das im Schlick wohnt. Lange schliefst du. Höre die Worte, die dich erwecken. Vernimm den Befehl des Meisters und tritt hervor. Denn ich rufe dich bei den Gewalten, die dich einst dorthin bannten und Schlaf über dich senkten. Ich bin Amun-Re, der Herrscher des Krakenthrones von Atlantis!« Ständig wiederholte
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