0279 - Der Zauberer von Venedig
Monster!« stöhnte Carsten Möbius. »Das war es dann wohl. Aus und vorbei!«
Der Meister des Übersinnlichen antwortete nicht. Und Carsten Möbius ließ sich instinktiv von ihm leiten. Denn ohne auf die beiden Ungeheuer zu achten, stürmte der Parapsychologe weiter auf die schmale Brücke zu, auf der höchstens drei Mann nebeneinander gehen konnten.
Denn sein feines Gehör hatte ganz in der Nähe die Schiffsglocke der Vaporetto gehört. Diese Barkassen verkehren auf den Kanälen von Venedig als öffentliche Verkehrsmittel, und Professor Zamorra wußte, daß eine der Vaporetti-Linien direkt unter der Brücke hindurchfuhr.
Sie mußten nur etwas Glück haben.
Zu verlieren war ja nichts mehr außer dem Leben…
***
Der hochgewachsene Mann mit dem undefinierbaren Alter neben dem Steuerhaus der Vaporetti-Linie 5 griff sich jäh zur Brust. Für einen Augenblick erschien es, als würden Schmerzwellen durch seinen Körper rasen. Doch im nächsten Moment verschwand der gequälte Zug auf seinem Gesicht. Dafür wurde das vorher freundliche und gütige Antlitz entschlossen und kantig.
Der Mann war ganz in Schwarz gekleidet, und eine leicht unter dem dichten, dunklen Haar verborgene Tonsur deutete an, daß er geistlichen Standes war, obwohl seine Kleidung sonst kein Zeichen einer besonderen Konfession aufwies.
Pater Aurelian, dem einst die geheimen Bibliotheken des Vatikans unterstanden, zog, seit er von seiner Bestimmung erfahren hatte, überall dorthin, wo das Böse auftauchte. Aus dem Verborgenen heraus bekämpfte er die Mächte der Hölle und der anderen Gefahren, die ihr Haupt wieder erhoben.
Überall in der Welt wanderten unerkannt die Väter vom Orden der »Reinen Gewalt«, die mit der Weißen Magie sich den Kräften des Teufels entgegenstellten. Damals, im Kampf gegen den Dämonen Nguruthos vor den Toren von Rom, hatte Pater Aurelian erfahren, daß er einst der römische König Numa Pompilius gewesen war, der für ganz Italien eine Art Friedenssymbol ist. Daher hielt sich Aurelian vornehmlich in Italien auf. Die Macht des Brustschildes von Saro-esh-dhyn machte ihn zum Großmeister seines Ordens.
Mit Professor Zamorra verband ihn die Freundschaft aus den Tagen ihrer gemeinsamen Studentenzeit. Der Kampf gegen die höllischen Gewalten führte die beiden Freunde wieder zusammen.
Und besonders der Kampf gegen Amun-Re, den Herrscher des Krakenthrones. Denn Pater Aurelian hatte in den vatikanischen Bibliotheken die Bücher Rostans, des Wissenden, gelesen, worin alles über die Macht des Zauberers von Atlantis geschrieben stand. Denn dieser Rostan war es, der Amun-Re in diesen Tagen versuchte zu bekämpfen und gescheitert war.
Gemeinsam mit Professor Zamorra war es ihm gelungen, in Rom einzugreifen, als sich Amun-Re die alte Krone des Romulus aufs Haupt setzte und damit die Weltherrschaft beanspruchte. Seit jenem Tag hatte er die Macht des Krakenthrones erkannt. Doch im Gegensatz zu seinem Freund Zamorra, der im Einsatz gegen das Böse kaum zur Ruhe kam, nahm sich Aurelian die Muße und vergrub sich in den geheimen Bibliotheken, zu denen er mit einem besonderen Dispens des Heiligen Vaters immer noch Zugang hatte. Sorgsam ging er daran, die uralten Schriften, die niemand der Öffentlichkeit zugänglich machen durfte, neu zu übersetzen und zu interpretieren.
Irgendwann fand er Parallelen zu der Magie des Heptagrammes, jenes siebenzackigen Sternes, auf der die Weiße Magie seines Ordens ruhte, und der Schwarzzauberei von Amun-Re.
Am Ende seiner Studien war ihm klar, daß er Amun-Re nicht vernichten konnte. Doch zusammen mit seinem Freund Zamorra konnte er dem Treiben von Amun-Re Einhalt gebieten.
Wenn der Brustschild von Saro-esh-dhyn, jener handtellergroße, langgestreckte Silberschild ohne jegliche Verzierung, und der Stern von Myrry-an-ey-Llyrana, wie er das Amulett Zamorras nannte, zusammen eingesetzt wurden — dann war es möglich, dem Treiben des Zauberers Einhalt zu gebieten.
Eigentlich war Aurelian aus persönlichen Gründen nach Venedig gekommen. Doch im Moment, als die Vaporetto in den Rio del Arsenale einbog, spürte er die Kraft des Unheimlichen.
»Schnell, capitano! Gefahr!« schrie Aurelian und war mit einem Satz im kleinen Steuerhaus. Der Schiffsführer sah ihn erstaunt an.
»Erhöhen Sie die Geschwindigkeit!« befahl Aurelian drängend. »Es geht um Menschenleben. Keine Zeit für Erklärungen!«
»Verschwinden Sie!« fauchte der Kapitän der Vaporetto. »Sie haben kein Recht, hier einzutreten.
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