0279 - Der Zauberer von Venedig
wußte, daß dies der einzige Fluchtweg war, der ihnen noch blieb.
Er warf die Eisenstange den eindringenden Monstern mit einem wilden Schrei entgegen und sprang. Der Fall wurde durch eine schwerbeleibte Italienerin leicht abgebremst, die nicht rechtzeitig zur Seite gegangen war. Keifend schrie die Frau, die offensichtlich keinerlei Verletzungen davongetragen hatte, ihre Empörung heraus.
Verzweifelt suchte Carsten Möbius italienische Sprachbrocken zusammen, um die Signora zu beruhigen.
»Beeil dich, Zamorra! Spring!« brüllte Aurelian. Doch der Meister des Übersinnlichen hatte Pech. Wohl war es ihm gelungen, das Brückengeländer zu erklimmen, um von dort auf die Barkasse herabzuspringen - doch in diesem Moment legten sich krallenbewehrte Hände um seine Füße.
Drei weitere Monster sprangen ihn an, um ihn wieder auf die Brücke herabzuziehen. Langsam trieb die Vaporetto unter der Brücke hindurch. Obwohl die Schrauben die schwere Barkasse zurückrissen, war doch die vorher aufgenommene Fahrt so stark, daß sie nicht mehr abzustoppen war. Unmöglich, die Vaporetto direkt unter der Brücke zur Ruhe zu bringen, um Zamorra zu Hilfe zu eilen.
Verzweifelt mußte Aurelian tatenlos zusehen, wie der Freund sich in den Klauen der Bestien wand. Die Passagiere brüllten vor Angst, als sie erkannten, daß die Ungeheuer echt waren und es sich hier nicht um Aufnahmen für einen Action-Film handelte.
Nur ein Mann in der Kleidung eines amerikanischen Touristen schien etwas beherzter zu sein. Zwar riß auch er die Augen auf, als er den ungleichen Kampf sah, doch anstatt sich auf den Boden zu werfen, riß er einen kleinen Taschenrevolver hervor.
Bellend löste sich der Schuß. Doch keins der Ungeheuer wurde getroffen. Dafür zersplitterte die Kugel die Steinpfosten des Brückengeländers, auf dem Zamorra stand und vergeblich versuchte, die Ungeheuer abzuschütteln.
»Damned to hell!« fluchte der Amerikaner laut in seiner Landessprache. »Danebengeschossen !«
»Im Gegenteil. Getroffen!« rief Carsten Möbius, dem ein blitzschneller Plan durch den Kopf zuckte. Bei den rasenden Bewegungen des Kampfes, mit denen Zamorra die Ungeheuer abschütteln wollte, war es äußerst gefährlich, in diese Richtung zu schießen. Zu leicht konnte der Parapsychologe selbst getroffen werden.
Doch Möbius sah, daß das Brückengeländer, ohnehin durch den Zahn der Zeit mürbe geworden, unter dem übergroßen Gewicht zerbröckelte. Die Revolverkugel beschleunigte nur den Prozeß des Zerfalls. Im Wasser, so hoffte Carsten Möbius, hatte der geschickte Schwimmer Zamorra die größeren Chancen, die Ungeheuer abzuschütteln.
Ohne weiter Worte zu verlieren, riß Carsten Möbius dem Amerikaner den Revolver aus der Hand. Zwar mochte er Waffen dieser Art überhaupt nicht, doch der Schockstrahler lag irgendwo auf dem Schiff, das er vorhin inspiziert hatte. Sonst hätte er längst versucht, die Monster mit Laser-Beschuß zurückzutreiben.
Fünfmal krachte der Revolver in der Hand des Millionenerben, bevor ein Klicken anzeigte, daß der Hammer auf eine leere Hülse fiel. Doch die Schüsse hatten dicht nebeneinander gesessen.
Professor Zamorra spürte, wie ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Für einen Augenblick versuchten die kreischenden Monster, das Gleichgewicht zu halten. Das verschaffte Professor Zamorra die Zeit, noch einmal tief Luft zu holen.
Im gleichen Augenblick krängte die Barkasse zur Seite.
Mit aller Kraft warf er sich dann nach vorne. Zweimal überschlug sich das aus Mensch und Monstern bestehende Bündel, dann schlossen sich platschend die Schmutzwasser des Kanals über Zamorra und den Ungeheuern, die sich in seiner Kleidung verkrallt hatten.
Im nächsten Moment erkannte Carsten Möbius, daß unter Wasser ein wilder Kampf stattfand. Zamorra versuchte mit aller Kraft, die Ungeheuer abzuschütteln. Rettungsringe flogen über die Bordwand.
Mit einem einzigen Sprung war Carsten bei dem Rettungsboot. Er hatte Glück und erwischte den Hebel, mit dem das Boot ausgefiert wurde. Platschend setzte das kleine Rettungsboot auf dem Wasser auf.
»Es kommen immer mehr!« heulten mehrere Stimmen. »Sie springen ins Wasser. Sie werden die Vaporette stürmen. Hilfe! - Angst!«
»Wir werden ihn retten!« übertönte Aurelians Stimme den Lärm. Mit einer Handbewegung warf er den Mantel zur Seite. Die Jacke folgte. Zwei, drei Menschen, die im Wege standen, beiseite drängend, rannte er zur Reling und sprang mit einem eleganten
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