0279 - Der Zauberer von Venedig
Seitenkanäle zu erreichen.
Das alte Gebäude befand sich in einem erbarmungswürdigen Zustand. Moder und Verfall krochen durch das Gemäuer. Die leise schwappenden Wellen des dunklen Brackwassers der Kanäle nagten an den Grundmauern.
»Wartet. Ich komme!« vernahmen die beiden Gondolieri die Stimme von Amun-Re im Inneren des Gebäudes. Sie hatten ihre Gondeln geschickt zu den drei Pfählen vor dem. Palazzo gelenkt, deren ehemals bunte Farbe längst verblichen war, und sie notdürftig vertäut.
»Ich weiß nicht, ob es recht ist, was wir tun, Giovanni!« sagte einer der Gondolieri mit einem Schauder in der Stimme. »Seit Wochen bringen wir nun schon in jeder Nacht die gleiche Lieferung. Der ganze Palazzo muß doch bis über das Dach davon gefüllt sein!«
»Was kümmert es dich?« knurrte der andere Mann und schob mehrer Behälter in Richtung der kleinen Treppe, hinter der die Eingangstür lag und über deren unterste Stufen das dreckige Kanalwasser spülte. »Er bezahlt dafür'… Und er bezahlt sehr gut. Meine Familie und ich, wir können das Geld sehr gut gebrauchen.«
»Aber die seltsame Kleidung, Giovanni!« hielt ihm der andere Gondoliere vor, der allgemein Giorgio gerufen wurde. »Dieses violette Gewand mit dem seltsamen Kopftuch, das von einem Reif gehalten wird, der an eine lebendige Schlange erinnert. Dazu die goldenen Brustplatten mit den seltsamen Zeichen, die ich nirgendwoanders gesehen habe. Es sind unheilige Werke, die dieser Mann tut!«
»Er mag es mit seinem eigenen Seelenheil ausmachen!« brummte Giovanni. »Ich werde sicherheitshalber der Madonna von San Maria della Salute eine Kerze stiften. Aber ich sehe an dem, was wir tun, nichts Unrechtes. Was ist es denn, was wir ihm bringen? Wertloses Zeug. Jeder andere Mann in Venedig könnte ihm das gleiche verschaffen.«
»Er wird es für… für eine finstere Zauberei verwenden!« stieß Giorgio stockend hervor. In der Schwärze der Nächt und in der unheimlichen Umgebung der halb verfallenen Palazzo wagte er es kaum, das Wort »Zauberei« auszusprechen.
»Wir liefern ihm Schlamm aus der Lagune unserer Stadt und Treibholz, das sich zwischen den Netzen der Fischer verfängt, die man von der Ponte della Liebera sieht. Schlamm und dürres Treibholz… Was willst du damit schon zaubern?«
»Ich weiß nicht, Giovanni!« flüsterte Giorgio. »Doch steht nicht geschrieben, daß der Mensch aus Erde geschaffen wurde?«
»Das geht zuweit, Giorgio!« entrüstete sich Giovanni. Er hätte noch eine härtere Antwort gegeben, wenn sich nicht in diesem Moment knarrend das Tor des Palazzo geöffnet hätte. Vom blakenden Licht mehrerer Fackeln umflossen erschien die hochgewachsene Gestalt im Ritualgewand von Atlantis. Keine Miene bewegte sich im Gesicht von Amun-Re, als er die beiden Gondolieri erblickte.
»Ihr kommt spät!« preßte er durch seine schmalen Lippen.
»Wir haben Neumond, Herr. Da ist die Fahrt in den kleinen Kanälen gefährlich, denn man kann sich nur am Glitzern des Wassers orientieren, da Ihr uns jegliche Beleuchtung verboten habt!«
»Tut eure Arbeit wie gewöhnlich!« befahl der Zauberer von Atlantis mit einer knappen Handbewegung. Mit vereinten Kräften hievten die beiden Venezianer mehrere geflochtene Körbe auf die Stufen des Palazzo. Nach einigen Minuten schwerer Arbeit war das Werk getan.
»Wie werdet Ihr, Herr, es schaffen, diese schweren Körbe allein zu tragen, die unsere Kräfte fast erschöpft haben?« fragte Giovanni, dem die Worte seines Kollegen nicht aus dem Kopf wollten. Sie waren beide kräftige Männer, doch alleine hätte keiner einen der Körbe mit dem feuchten Schlamm anheben können, der durch das Wasser noch an Gewicht zugelegt hatte.
»Hier ist euer Lohn für diese Nacht! Verschwindet!« knarrte die Stimme von Amun-Re. »Ihr werdet dafür bezahlt, daß ihr mir das bringt, was ich benötige - nicht für Fragen. Vergeßt das Ganze. Oder ich suche mir Männer, die weniger neugierig sind als ihr. Wer versucht, mein Geheimnis zu ergründen, stirbt einen Tod, der ihn den Augenblick seiner Geburt verfluchen läßt. Fort mit euch!«
Die letzten Worte waren in einem Ton hervorgestoßen worden, der keinen Widerspruch duldete. Erschrocken machten die beiden Venezianer ihre Gondeln los und legten die Ruder in die Forcola, die Spezialdolle, ein. Mit eiligen Ruderschlägen trieben sie ihre Gondeln in die Richtung, die zum Canale Grande führte.
Kurz bevor sie um die Ecke bogen, wagte Giovanni einen Blick zurück. Was er
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