0281 - Ein Spitzel zieht die falsche Karte
einem ganz schön auf den Wecker fallen, Cotton«, seufzte Anderbuilt und kramte in seinem Schreibtisch. »Da ist die Zeitung.«
Ich nahm sie und betrachtete das Bild auf der Titelseite.
»Wer ist das?« fragte ich und zeigte mit dem Finger auf einen Mann.
Anderbuilt beugte sich über die Zeitung und las den Text, der unter dem Foto stand.
»Presseball der New Yorker Journalisten… eh… Bild zeigt von links nach rechts… Donnerwetter! Das ist der Pressechef von der Botschaft eines Landes, das nicht gerade im besten Einvernehmen mit uns steht.«
»Ja«, sagte ich. »Und nun stellen Sie sich einmal vor, dies wäre der Mann, der sich Nora Ballister gegenüber als Peter Stagny von der United Steel Corporation ausgegeben hat.«
»Der? Cotton, warum sollte ein ausländischer Diplomat so ein riskantes Spiel treiben? Warum sollte er sich einem Mädchen wie Nora Ballister gegenüber unter falschem Namen verbergen?«
»Vielleicht weil diese Nora Ballister eine Sekretärin bei der Atom-Energiekommission war. Vielleicht weil er hoffte, über das Mädchen an wichtige Staatsgeheimnisse und geheime Forschungsergebnisse heranzukommen.«
»Donnerwetter, Cotton, wenn Sie recht hätten!«
»Ich habe recht, Anderbuilt. Dieser Mann war der Mann, den Nora Ballister liebte. Bis sie am Vorabend ihrer Ermordung plötzlich an diese Zeitung geriet. Vielleicht sah sie das Blatt im Vorbeigehen an einem Zeitungskiosk hängen. Das Bild von dem Presseball ist auf der Titelseite. Selbst jemand, dessen Blick ohne Interesse über das Blatt schweift, muß das Bild sehen. Nora Ballister erschrak. Da war ja der Mann abgebildet, den sie liebte. Was war mit ihm? Weshalb stand sein Foto in der Zeitung? Sie kaufte die Zeitung. Fiebernd eilte sie zur nächsten ruhigen Ecke, um den Text unter dem Bild zu lesen. Und was muß sie erfahren? Der Mann, den sie liebt, ist ein Lügner. Das ist das Mindeste. Er hat ihr einen falschen Namen genannt. In Wahrheit ist er ein Mitglied einer ausländischen Botschaft. Für Nora Ballister ist damit auf einen Schlag alles klar! Er wollte ihr Vertrauen gewinnen, um sie desto besser über ihre Arbeit aushorchen zu können. Sie eilt nach Hause, sie ruft diesen Mann an — denn jetzt weiß sie ja, wo sie ihn erreichen kann. Sie sagt ihm, daß sie ihn durchschaut. Und das ist ihr Todesurteil, denn — Anderbuilt —, denn dieser Mann gibt am selben Abend im Spielklub an den Gangsterboß Holden den Befehl: Nora Ballister ist umgehend zu töten, bevor sie zum FBI laufen kann, um anzuzeigen, daß ich — ein ausländischer Diplomat — hier Spionage betreibe. Diesen Befehl erteilt er, indem er den Namen von Nora Ballister nacheinander in Zahlen beim Roulett setzt. Anschließend fügt er dreimal die Null hinzu. Das ist das vereinbarte Zeichen für Tod, für Mord. Am nächsten Morgen ist Nora Ballister eine Leiche. Der Mann aber, den sie liebte, dieser Mann hier auf dem Zeitungsbild, das ist der geheimnisvolle Mann, der im Spielklub nach seinem Zettel die erste und die zweite Zahlenreihe setzte. Er ließ Nora Ballister ermorden und er ließ Corry B. Duckart ermorden. Ich bin davon überzeugt, daß unser Suchen nach dem Abwehroffizier Duckart nur noch seine Leiche zutage fördern ka…«
Ich hatte das Wort noch nicht ausgesprochen, da klingelte das Telefon. Anderbuilt nahm den Hörer und meldete sich. Aber gleich darauf hielt er mir den Hörer hin.
»Für Sie, Cotton«, sagte er. Ich nahm den Hörer.
***
Der Patrolmann 4741, der auf den bürgerlichen Namen Harry Prewitt hörte, befand sich auf seinem dritten Patrouillengang. Er streifte durch die Verladeanlagen und Docks am East River. Das Wetter war stürmisch, und Harry Prewitt hatte den Kragen seiner Winteruniform hochgestellt.
Harry Prewitt hatte gerade eine der langen Verladehallen erreicht, bog um die Ecke, die von der Halle und einem angrenzenden Kistenstapel von beachtlicher Höhe gebildet wurde, und riß ein Streichholz an. Aber statt seine Zigarette anzurauchen, starrte er erschrocken auf den Boden unter seinen Füßen.
Dann warf er das Streichholz weg und griff nach der Taschenlampe. Er schaltete sie ein und bückte sich.
Kein Zweifel, was da den Boden bedeckte, war Blut. Er leuchtete die Umgebung ab und fand, daß es eine richtige Blutspur gab. Sie kam von dem halbverrosteten Kran, der seit langem nicht mehr benutzt wurde, und sie führte in die offenstehende Halle hinein oder umgekehrt.
Prewitt folgte seinem ersten Impuls und ging der Blutspur nach in die
Weitere Kostenlose Bücher