0281 - Shimadas Mordaugen
Englisch war akzentfrei.
»Wir wollen uns etwas umschauen.«
»Dann sind Sie nicht wegen des Festes gekommen?«
Suko und ich schauten uns an. »Wie meinen Sie das denn?« fragte mein Partner.
»Wir feiern heute ein Fest der Finsternis und gedenken der Zeit, als es noch Samurais und Ninjas gab, die sich oft im blutigen Kampf gegenüberstanden. Zunächst siegten die schwarzen Ninjas, doch die weißen taten sich mit den Samurais zusammen und schlugen die schwarze Gefahr zurück. Das ist alles.«
Das Wort Ninja hatte bei uns schon Assoziationen ausgelöst. Wir schienen tatsächlich einen Glücksgriff getan zu haben.
»Und da sind nicht nur geladene Gäste?« sprach ich den Portier an.
»Nein, Sir. Auch Menschen aus unserem Gastland sollen daran teilnehmen. Wie Sie.«
»Das finde ich gut.« Ich nickte Suko zu, und mein Freund gab mir zu verstehen, daß auch er nicht abgeneigt war. »Wohin müssen wir uns denn wenden?«
»Das Fest findet in der ersten Etage statt. In den großen Ballräumen mit den Bühnen. Sie können es überhaupt nicht verfehlen. Nehmen Sie den Lift oder die Treppe?«
»Die Treppe«, entschied Suko.
»Sehr wohl, Gentlemen. Dann darf ich Ihnen ein großes Vergnügen in unserem Haus wünschen. Sie werden alles finden, wonach ihr Herz und Ihr Körper verlangen. Sie verstehen?«
»Natürlich.«
Die Treppe führte von der Halle aus nach oben. Sie war sehr breit und beschrieb einen Bogen. An den Wänden sahen wir Zeichnungen aus dem alten Japan. Herrlich gemalte Kirschblüten, kleine Parks, Seen oder Flüsse. Und über allem thronte der Fudschijama, Japans heiliger Berg.
Er war auf jedem Bild zu sehen, und seine Schneekuppe leuchtete stets in einem strahlenden Weiß.
Ich schaute noch einmal zurück.
Der Portier hatte uns nachgeschaut. Als ich den Kopf drehte, wandte er sich ebenfalls ab - und war verschwunden.
Ich hatte das Gefühl, leicht durchzudrehen, lief ein paar Schritte, um einen besseren Blickwinkel zu bekommen, aber ich sah den Knaben nicht. Er hatte sich in Luft aufgelöst.
Das war ein Ding.
Dann sah ich ihn doch. Zumindest seinen Rücken. Er stand neben einer Blumenbank und beschäftigte sich mit den Blättern einer exotisch wirkenden Pflanze.
Suko war zurückgeblieben. Jetzt kam er wieder vor und fragte: »Was ist denn los, John?«
»Der Portier ist verschwunden.«
Suko lachte leise. »Träumst du? Da steht er doch.«
»Wirklich?«
»Sag mal, was ist…«
Jetzt drehte sich der Mann um. Wir schauten ihn an, und auch Suko schluckte zweimal.
»Das gibt es doch nicht«, murmelte er.
Und doch gab es das. Der Knabe, der vor uns stand, war ein anderer als der, der uns in Empfang genommen hatte.
»Die Herren wünschen?« fragte er. Er sprach mit der gleichen Stimme wie der erste.
Ein wenig dumm kam ich mir ja bei der Frage vor, die ich stellte. »Sie haben uns vorhin begrüßt, Mister?«
»Natürlich.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Gentlemen, ich brauche keine Brille. Ich kann mich auf meine Augen verlassen.«
»Dann ist es gut, danke.«
Wir drehten wieder ab. Noch einmal schauten wir uns um und sahen einen Mann, der uns verständnislos nachschaute. Als wir aus seinem Blickwinkel verschwunden waren, blieb Suko stehen. Das geschah bereits auf der dritten Treppenstufe.
»Denkst du das gleiche wie ich?« fragte er.
»Ja. Shimada, die lebende Legende.«
»Oder Herr der 1000 Masken. Und damit hat er uns geleimt. Vor uns stand beim erstenmal nicht der Portier, sondern Shimada. Liege ich da falsch?«
»Nein, Suko, du liegst goldrichtig. Besser hätten wir es gar nicht treffen können. Wobei uns Shimada gezeigt hat, daß er uns nicht aus den Augen läßt.«
Wir schritten allein die Treppe hoch. Es kam uns auch niemand entgegen, und wir ließen den Bogen hinter uns. Die Wände waren ebenfalls bemalt worden. Zweige mit Kirschblüten. Letztere in einem hellen feinen Rot gezeichnet. Sie hingen an sehr zarten Stengeln, und als ich genauer hinschaute, sah ich, daß sie sich bewegten.
Gemalte Blüten!
Ich blieb stehen, schaute sie mir an, und meine Augen wurden groß.
Jetzt sah ich keine Blüten mehr, sondern winzige Gesichter, in denen aber jedes Detail genau zu erkennen war.
Ninja-Kämpfer!
Ich sah die Tücher an der oberen Gesichtshälfte, die kalten, bläuen Augen, die uns anfunkelten, und als ich mit dem Finger gegen ein Gesicht stieß, traf ich nur die Wand.
Auch Suko hatte zugeschaut. »Jetzt können wir es uns überlegen«, sagte er, »das war die zweite
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