0286 - Briefe aus der Hölle
Frauen. Einzelne Stimmen konnte ich nicht unterscheiden, ich wußte auch nicht, ob sie zu Menschen oder Geistern gehörten, jedenfalls fühlte ich mich als ein Mittelpunkt, ging auch nicht weiter und ließ die Stimmen auf mich einwirken.
Nur das Wort »Willkommen« hatte ich verstanden. Was sie sonst noch sagten, registrierte ich zwar, aber ich vernahm keine Einzelheiten. Meine Blicke bohrten sich in das Dunkel. Irgendwo mußten Umrisse oder Schatten zu sehen sein, wenn ich es mit Menschen zu tun hatte. Es war nicht der Fall. Nur die tintige Dunkelheit umgab mich, in der sich alles verborgen halten konnte.
Gefährliche Dämonen, Geister, Höllendiener, die eine feinstoffliche Struktur angenommen hatten und für mich nicht sichtbar waren.
Sichtbar war dafür das Kreuz!
Ich hatte es hervorgeholt und hielt es in der Hand. Aus der Faust schaute es hervor, und ein seltsam fahles Leuchten umgab die geometrischen Umrisse.
Das Kreuz spürte die Gefahr, aber es tat nichts dagegen. Es warnte mich nur.
Die Stimmen wisperten weiter. Noch immer verstand ich nicht, was sie eigentlich wollten, und ich drehte mich im Kreis, ging dann zur Seite, die Lautstärke blieb konstant.
Sie verfolgten mich unsichtbar.
Viel Platz hatte ich nicht. Wenigstens nahm ich es an, denn ich konnte kaum etwas erkennen, bis ich den roten Schein sah.
Sofort blieb ich stehen.
Vor mir sah ich das geheimnisvolle Glosen und Leuchten. Ein rötliches Licht, langgestreckt, in der Form an eine aufrecht stehende Birne erinnernd.
Aber es war nicht nur ein Schein, der mir da entgegenleuchtete. In seinem Innern erkannte ich eine Gestalt.
Sheila Conolly!
Sie stand, ich blieb stehen. Beide fixierten wir uns. Verändert hatte sich Sheila nicht, nur daß sie von diesem geheimnisvollen Leuchten umgeben wurde. Ihr Blick war starr. Um ihre Lippen lag ein feines Lächeln, das auch eine Lockung sein sollte, doch ich blieb auf dem Fleck stehen.
Die Stimmen hatten sich zurückgezogen. Sie waren von mir als unheimliches fernes Flüstern und Raunen zu vernehmen, und meine etwas hallend klingende Stimme durchbrach das lastende Schweigen.
»Was tust du hier, Sheila?«
Sie kniff leicht die Augen zusammen, bevor sie die Lippen zu einer Antwort öffnete. »Er hat mir Bescheid gegeben, und ich will zu ihm kommen.«
»Meinst du deinen Vater?«
»So ist es.«
Ich schüttelte den Kopf. »Sheila, dein Vater ist tot. Das ist alles Lug und Trug. Der Teufel, der im Hintergrund sitzt, will nicht deinen Vater, sondern dich, denn ihn hat er schon.«
Sheila ging auf meine Bemerkung nicht ein, denn sie gab eine völlig andere Antwort. »Mein Vater will mir das Jenseits zeigen, und er hat es mir bereits geschildert.«
»Wann?«
»In meinen Träumen«, antwortete Sheila.
»Weshalb hast du darüber nicht mit mir gesprochen?«
»Du warst nicht da, John. Du hattest mit anderen Gegnern zu viel zu tun. Denk an Xorron, an Shimada…«
Da hatte sie recht. Die letzte Woche war verflucht schlimm gewesen.
Xorron gab es nicht mehr, aber niemand von uns wußte, wie es weitergehen würde, denn Shimada war aufgetaucht. Eine neue, unbekannte Größe im gewaltigen Spiel der Kräfte.
»Außerdem hat mir mein Vater untersagt, mit irgend jemand über meine Träume zu reden. Und daran habe ich mich gehalten. Nur wenn ich ihm gehorche, kann ich das sehen, was für mich so wichtig ist. Welcher Mensch vor mir hat schon einen so langen intensiven Blick in das Jenseits werfen können? Selbst du nicht, John Sinclair, wo du in zahlreichen Dimensionen gefangen warst oder sie durchwandert hast. Mir öffnen sich Türen, die allen anderen Menschen verschlossen bleiben. Unsere Ahnherren und Verwandten haben es geschafft. Wir sind ausersehen, sie treffen zu dürfen.«
»Dabei spielt auch ein Mord keine Rolle, wie?« hielt ich ihr entgegen.
»Ich habe nicht gemordet.«
»Aber ein anderer. Henry Torry!«
Sheila hob die Schultern. »Jeder macht nur das, was man von ihm verlangt.«
Ich stellte eine Suggestivfrage. »Du würdest es auch machen?«
»Natürlich.« Ohne zu zögern, gab sie mir diese Antwort, und sie erschreckte mich. Hätte Sheila jetzt eine Waffe besessen und den Befehl bekommen, mich zu töten, bei Gott, sie hätte sicherlich abgedrückt.
Ich schüttelte mich. Von Jane Collins hätte ich so etwas erwarten können, aber von Sheila?
Schreckensvisionen standen plötzlich vor meinem geistigen Auge. Ich mußte daran denken, daß ich Nadine Berger praktisch verloren hatte, danach war mir Jane
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