029 - Der Unheimliche
begangen wurde, war ich in Ihrer Nähe. Feng Ho aber war viele, viele Meilen von London entfernt. Glauben Sie mir, er kann ein einwandfreies Alibi beibringen.«
»Seinen Hut vielleicht auch?« bemerkte sie spitz.
Amery sprang auf. »Seinen Hut?«
»Wahrscheinlich hätte ich Ihnen das nicht sagen dürfen«, fuhr sie fort, »aber die Polizei hat einen Hut gefunden und einen Chinesen gesehen, der barhäuptig vom Haus herkam.«
Für einen Augenblick schien ein Licht in seinen ausdruckslosen Augen aufzuflackern, dann war seine Miene unbewegt wie zuvor.
»Tatsächlich?« fragte er ruhig. »Für diesen Fall wird Feng Ho ebenfalls ein Alibi haben. Das ist alles!«
Kurze Zeit später fand Elsa in ihrem Stenogramm ein Wort, das sie nicht lesen konnte, und widerstrebend klopfte sie an seine Tür, um ihn zu fragen. Das Zimmer war verlassen. Major Amery war fortgegangen und kam erst nach einer Stunde wieder, während der er an einem Treffpunkt in der Stadt die Rückkehr eines Boten erwartete, der für ihn einen grauen, weichen Filzhut, Größe sechseinhalb, mit breitem schwarzem Band gekauft hatte.
18
Dr. Ralf Hallam verbrachte einen ziemlich geschäftigen Tag in seinem Haus in der Half Moon Street. Es war ihm klar, daß der Tod Maurice Tarns ihn in große Unannehmlichkeiten, ja sogar in Gefahr bringen konnte. Hätte er nur mit Tarn unter vier Augen sprechen können, bevor das Messer des Mörders ihn tötete, so hätte er noch viel erfahren, was ihm jetzt unbekannt war.
Hallam wartete ungeduldig, bis die Dunkelheit hereinbrach. Trotz dreier Besuche Bickersons und eines Anrufs seiner Frau verging ihm die Zeit zu langsam. Ein Brief seiner Bank, die auf sein überzogenes Konto hinwies, machte ihm seine schwierige Lage noch deutlicher. In gewöhnlichen Zeiten hätte ihn so etwas nicht gestört, denn aus dem unrechtmäßigen Geschäft, das er mit Tarn betrieb, hatte sich ein großer Gewinn ergeben. Keiner der Männer vertraute diese Gelder einer Bank an, sie wurden in amerikanischen Banknoten in einem Safe aufbewahrt. Es waren umgerechnet etwa zweihunderttausend Pfund, von denen die Hälfte Maurice Tarn und dessen Erben gehörte. Hallams Gedanken wanderten zu Elsa Marlowe. Falls Tarn das Geld woanders als im Geldschrank der Stanford-Gesellschaft deponiert hätte, würde Elsa ebenso reich sein wie er selbst, wenn er mit ihr teilte. Aber er hatte nicht die geringste Absicht, mit ihr zu teilen. Alles Geld im großen, grünen Geldschrank der Stanford-Gesellschaft gehörte ihm allein, kein Erbe Maurice Tarns hatte darauf ein Anrecht. Es sei denn, Tarn hatte Einzelheiten über sein illegales Geschäft hinterlassen!
Nach Büroschluß rief er Elsa an.
»Möchtest du zu mir zum Essen kommen? Ich habe dir einiges über Tarn zu erzählen.«
Elsa begrüßte diese Zerstreuung, denn der Tag war sehr anstrengend gewesen, und sie brauchte etwas Ablenkung.
»Ich werde sofort kommen.«
»Hast du Bickerson gesprochen?« erkundigte er sich.
»Ja! Er war den halben Tag im Büro! Ralf, ich habe die ganze Sache satt. Bei der Gerichtsverhandlung soll ich alles wiederholen, was Tarn zu mir gesagt hat. Hast du die Abendzeitung schon gelesen! Darin ist ein Foto, wie ich mittags das Büro verlasse!«
Hallam lächelte vor sich hin.
»Ich hatte den ganzen Tag mit Reportern zu tun,« meinte er, »komm her, dann ärgern wir uns zusammen darüber.«
Nachdenklich legte er den Hörer auf die Gabel. Er hatte schon einen Plan, wie er Tarns Vermögen an sich bringen konnte. Eigentlich war er froh, daß Tarn tot war. Der Mann hatte seine Nerven verloren, er hatte sich selbst an Amery verraten. Soyoka! Tarn hatte an jeder Straßenecke Soyoka gesehen und in jedem Menschen den geheimnisvollen Anführer der Rauschgiftbande vermutet. Wer hatte den Chinesen in Maurice Tarns Haus gesandt? Soyoka mußte gute Gründe haben, seine Konkurrenten zu vernichten.
Die Organisation, an deren Spitze Ralf Hallam und Maurice Tarn standen, war nur durch einen Zufall ins Leben gerufen worden. Vor fünf Jahren wurde Ralf von seinen Gläubigern verfolgt, die drohten, ihn vor das Konkursgericht zu bringen. Eines Abends, als er mit Tarn in einer Bar im West End saß, kam ein Bekannter herein - ein Rauschgiftsüchtiger, der ihn anflehte, ihm ein Rezept zu geben. Ralf gab es ihm, und durch vorsichtige Nachfragen in gewissen Kreisen erfuhr er, daß es trotz der strengen Polizeikontrolle eine einflußreiche Organisation gab, die sich mit Rauschgifthandel abgab.
Maurice Tarn hatte
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