029 - Der Unheimliche
geschah, den er ihr als den Safeschlüssel gezeigt hatte. Hallam drehte das Licht an, ließ sie in ein kleines Zimmer eintreten und verschloß die Tür.
Es war ein wenig imponierendes Büro. Ein wackliger Tisch, ein Stuhl, ein moderner Geldschrank in einer Zimmerecke, das war die ganze Einrichtung.
»Ziemlich primitiv!« meinte Ralf.
Er stellte seine Aktenmappe auf den Tisch, ging an den Geldschrank, steckte den Schlüssel in das Schloß und drehte ihn zweimal um. Die schwere Tür schwang auf, und Hallam schaute forschend in das Innere des Safes. Plötzlich stieß er einen Fluch aus:
»Der Schrank ist leer!« knurrte er heiser. »Es ist überhaupt nichts drin!«
Elsa drehte sich hastig um, jemand hatte an die Glasscheibe der Tür geklopft.
»Ralf, es ist jemand an der Tür.«
Sie konnte auf der undurchsichtigen Scheibe einen Schatten erkennen, den Schatten eines Mannes. Einen Augenblick war Hallam so bestürzt, daß er nicht verstand, was sie sagte. Sie faßte ihn am Arm.
»An der Tür?« flüsterte er. »Es wird wohl eine der Putzfrauen sein.« Dann rief er mit lauter Stimme: »Gehen Sie weiter!«
»Zuvor möchte ich Sie aber sprechen«, ließ sich eine Stimme vernehmen, und Elsa wäre beinahe ohnmächtig geworden, als sie sie erkannte. Es war die Stimme Paul Amerys.
19
Elsa schloß die Tür auf und trat einen Schritt zurück, um Amery eintreten zu lassen. Er trug einen Smoking und hatte den Mantel über dem Arm. Erst schaute er auf Elsa und dann auf Ralf, und Elsa sah das halb verächtliche und halb spöttische Lächeln auf seinen Lippen, das sie so sehr haßte.
»Sie haben also doch Verbindung zu Stanford, Miss Marlowe!« stellte er fest. »Wissen Sie, daß ich Ihnen tatsächlich geglaubt habe, als Sie mir erklärten, Sie hätten noch niemals von dieser unternehmungslustigen Gesellschaft gehört?«
Ralf Hallam war zuerst verdutzt, doch dann fiel ihm Maurice Tarns Warnung ein. Das war Soyoka!
»Ich habe Miss Marlowe hierhergebracht, um das Geld ihres Onkels aus dem Safe zu holen«, erläuterte er und blickte Amery fest in die Augen. »Aber es scheint, daß ich etwas zu spät gekommen bin, denn vor mir war schon jemand anderer da.«
Der Eindringling blickte unbekümmet erst auf den offenen Geldschrank und dann auf Elsa. Ihr Gesicht verriet ehrliches Erstaunen.
»Geld? Ralf, du hast mir nichts von Geld gesagt.«
Einen Augenblick war er verwirrt. »Nun, hier lagen sowohl Papiere als auch Geld«, äußerte er eifrig. »Auf alle Fälle ist beides verschwunden. Vielleicht kann uns Major Amery mitteilen, wer es geholt hat?«
»Ich sollte meinen - Tarn«, war die kühle Antwort. »Wer hatte denn sonst ein Recht dazu?«
Er schaute Elsa an, die unter seinen forschenden Blicken errötete.
»An Ihrer Stelle, Miss Marlowe, würde ich mich von dieser Sache fernhalten«, fügte er hinzu. »Es gibt gewisse Beschäftigungen, die für kleine Mädchen absolut unpassend sind.«
Seine Bevormundung war ihr unerträglich, sie zitterte vor Arger.
Ralf mischte sich ein.
»Es scheint, daß Sie sehr viel über die StanfordGesellschaft wissen? Ich glaube nicht, daß Soyoka über einen kleinen Einbruch erhaben ist!«
»Glauben Sie, was Sie wollen!« sagte Amery und wandte sich Elsa zu. »Ich bin der Meinung, Miss Marlowe, daß es für Sie besser ist, in Ihr Hotel zurückzukehren.«
Elsa bekam einen roten Kopf, länger konnte sie sich nicht zurückhalten.
»Major Amery, Sie haben kein Recht, mir vorzuschreiben, was ich zu tun habe. Ich dulde auch nicht, daß Sie mich als ›kleines Mädchen‹ behandeln. Dies ist das Büro meines Onkels, und ich würde mich freuen, wenn Sie es verließen. Übrigens habe ich bis heute nicht gewußt, daß dies sein Büro ist.«
Mit einem Achselzucken ging Amery zur Tür und auf den Gang hinaus; im nächsten Augenblick folgte ihm Ralf Hallam und stellte ihn.
»Amery, wir wollen die Angelegenheit gleich hier klären!« forderte er. »Ich sehe, daß in England nicht für uns beide Platz ist, und ich versichere Ihnen - wenn eine der beiden Organisationen kracht, dann ganz gewiß nicht meine! In jenem Safe war Geld - sehr viel Geld. Vor wenigen Tagen war es noch da, heute abend ist es verschwunden. Sie wissen über die Stanford-Gesellschaft schon längst Bescheid. Das bedeutet, daß Sie hier nach Belieben ein- und ausgehen konnten.«
»Mit anderen Worten: ich habe Ihr Geld gestohlen?« Die grauen Augen schauten belustigt. »Ich will Ihnen einen Rat geben, denselben, der Ihrem Partner
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