029 - Der Unheimliche
darauf, als ob das Kärtchen ihm den Grund von Major Amerys Besuch verraten könne. » Führen Sie ihn herein!« murmelte er dann.
Amery trat ein und wurde mit der Höflichkeit begrüßt, die auch einem ehemaligen Kunden der Bank zustand.
»Ich bin gekommen, weil ich glaubte, Ihnen eine Aufklärung schuldig zu sein, Mr. Tupperwill. Ich habe gestern mein Konto bei Ihnen geschlossen.«
Tupperwill nickte ernst.
»Es ist mir berichtet worden, und ich muß gestehen, daß ich überrascht und erleichtert war.«
Ein Lächeln spielte um die Lippen des Mannes aus Indien.
»Ihre Erleichterung ist wohl mehr auf den unbefriedigenden Charakter des Kunden als auf das Konto selbst zurückzuführen, denn es war doch sehr hoch.«
»Es war hoch«, gab Tupperwill zu, »aber wenn Sie mir die Bemerkung gestatten: Es war sehr geheimnisvoll.«
»Sind nicht alle Ihre Konten geheimnisvoll?« fragte Amery kaltblütig. Der Bankier gab keine Antwort, erklärte aber dann:
»Ich kann das Gefühl nicht loswerden, daß Sie die Stebbings-Bank als einen Notbehelf benutzten. Sie werden mir verzeihen, wenn ich mich irre, aber die Unbeständigkeit Ihres Kontos war eine seiner unbefriedigenden Seiten.«
»Es sollte eigentlich ein beständiges Konto sein«, erwiderte Amery, »Ich hatte es für einen ganz bestimmten Zweck eröffnet, und ich will Ihnen auch ganz offen sagen, wozu. Ich wollte irgendeine Unregelmäßigkeit erfinden, die mir das Recht geben sollte, vor Gericht eine Prüfung Ihrer Bücher zu verlangen.«
Mr. Tupperwill starrte ihn verdutzt an.
»Jetzt weiß ich, daß dieser Weg nutzlos gewesen wäre, denn ich gestehe, daß ich über das Bankiergewerbe weniger weiß, als ich annahm.
»Sie wollten meine Bücher prüfen lassen?« fragte Tupperwill langsam, als ob er erst jetzt begriff, was Amery beabsichtigt hatte. »So etwas - so etwas habe ich noch nie gehört.«
»Das glaube ich. Aber, Mr. Tupperwill, wie ich schon erwähnte, habe ich mein Konto geschlossen, weil ich merkte, daß mein Plan nutzlos war. Außerdem habe ich bereits alles erfahren, was ich wissen wollte. Mr. Tupperwill, wer ist John Stillman?«
Amery hatte die verhängnisvolle Gabe, Leute zu Tode zu erschrecken. Tupperwill sprang bei diesen Worten vom Stuhl auf.
»Stillman?« stotterte er. »Ich - ich verstehe Sie nicht.«
»Niemand versteht mich!« Amery schüttelte den Kopf. »Aber das kommt daher, weil ich zu deutlich bin. Sie führen das Konto eines Mr. Stillman - ein viel größeres Konto als meines und viel gefährlicher. Die Stebbings-Bank könnte es überleben, mich in ihren Büchern zu führen, aber Still mans Konto wird Sie, Ihr ganzes Vermögen und Ihre Bank in einen solchen Morast stürzen, daß Sie dann ersticken werden.«
Der Bankier starrte ihn einen Augenblick erschrocken an, dann versetzte er:
»Ich weigere mich ganz entschieden, über die Geschäfte meiner Bank zu sprechen«, und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Es ist unerhört! Was erlauben Sie sich, Herr... «
Amery brachte ihn durch eine Handbewegung zum Schweigen.
»Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen sage: Stillman wirkt tödlicher als das Gift einer Schlange.«
»Ich weigere mich, über die Angelegenheit zu sprechen«, schrie Tupperwill zornig und drückte auf den Klingelknopf. »Herr, Sie sprechen über eine Dame - eine reizende Dame -, eine Dame, die meine volle Achtung und Bewunderung hat, obwohl sie nur eine untergeordnete Stelle in Ihrem Geschäft in der City einnimmt.«
Amery schaute ihn verblüfft an.
»Eine Dame?« fragte er ungläubig. »In der City - in meinem Geschäft? Herrgott!«
31
John Stillman, der geheimnisvolle Kunde der Stebbings-Bank, war Elsa Marlowe! Der Unheimliche konnte den Bankier, dessen Gesicht vor Zorn gerötet war, nur sprachlos anstarren. Maurice Tarns Nichte? War sie trotz alledem in die Sache verwickelt?
»Ich nehme an, daß Sie über Miss Marlowe sprechen?«
»Ich spreche über niemand.« Vor Wut klang Tupperwills Stimme ganz heiser. »Sie wollten, daß ich ein heiliges Geheimnis verrate. Das kann ich Ihnen nicht verzeihen.«
Der Buchhalter trat ein.
»Weisen Sie Major Amery aus diesen Räumen. Er darf unter keinen Umständen jemals wieder vorgelassen werden!«
»Entweder hat man Sie getäuscht oder Sie lügen, Tupperwill. Miss Marlowe hat bei Ihnen weder unter ihrem eigenen noch unter einem anderen Namen ein Konto.«
»Ich lehne es ganz entschieden ab, noch ein Wort mit Ihnen zu reden. Dort ist die Tür, Herr!«
Der Besucher
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