029 - Der Unheimliche
auffassen, aber mein Papa ist ziemlich wohlhabend. Ich brauchte überhaupt nicht zu arbeiten.«
»Aber Jessie, warum tun Sie es dann?«
»Papa wünscht, daß ich mich etwas beschäftige. ›Satan findet Arbeit für Nichtstuer‹ heißt es.«
»Das glaubt auch Major Amery«, bestätigte Elsa, und Miss Tames Kinn sank herab.
»Amery?« rief sie entsetzt und wurde blaß. »Hat er mich gesehen? War er dort?«
Elsa nickte.
»Im Mispah? Hat er Papa gesehen?«
»Ja, auch Ihren Vater.«
»Oh!« seufzte Miss Tame. »Na, ich kann es nicht ändern. Hat er schon nach mir gefragt?«
»Nein, er scheint heute morgen andere Interessen zu haben. Aber das soll nicht bedeuten ...«
»Ich weiß, daß es nichts bedeutet! Er ist einer von jenen gerissenen, heimlichen Leuten, die immer etwas Heimtückisches im Sinn haben. Bevor man weiß, was los ist - schwupp . . . Papa sammelt Diamanten. Er ist im Geschäft - ich meine Diamantengeschäft -, aber nur - nur aus Liebhaberei.« Anscheinend brannte sie darauf herauszubekommen, welchen Eindruck sie auf Elsa und besonders auf Major Amery gemacht hatte. »Wenn er mich mit meinem Papa gesehen hat, muß er doch wissen, daß alles in Ordnung ist!«
Elsa verzog keine Miene, obwohl sie das Lachen kaum zurückhalten konnte.
»Ich glaube kaum, daß es der Mühe wert ist, sich darum zu kümmern, was Major Amery denkt«, beruhigte sie Jessie, »und wenn er selbst die Sache nicht erwähnt, sollten Sie auch darüber hinweggehen.«
»Hm!« meinte Miss Tame zweifelnd.
Den ganzen Vormittag ließ sie sich nicht wieder sehen, und Elsa war nicht traurig darüber, denn Amery war heute sehr unentschlossen. Gewöhnlich erforderte seine ausländische Korrespondenz nur selten Verbesserungen, und nur ganz ausnahmsweise ließ er einen Brief vernichten und neu anfangen. An diesem Morgen aber hatte er einen langen Brief diktiert, und sie hatte ihn schon halb in die Maschine übertragen, als er in ihr Zimmer kam.
»Lassen Sie den Brief sein!« befahl er. »Kommen Sie mit Ihrem Block, ich will einen anderen diktieren!«
Dann wiederholte sich dasselbe wie vorher. Sie war beim letzten Satz des neuen Schreibens, als er wieder erschien.
»Der Brief gefällt mir nicht ganz. Kommen Sie, wir wollen einen neuen Versuch machen!«
Es war ein Brief an einen chinesischen Kaufmann in Shanghai, hatte aber nichts mit der Verschiffung von Waren zu tun, sondern mit einem geheimnisvollen Wesen, das er ›F. O. I.‹ nannte. F. O. I. war nicht ganz befriedigt, wie die Sachen liefen. Und F. O. I. meinte, daß auf der chinesischen Seite etwas energischer vorgegangen werden sollte. Gleichzeitig erkannte F. O. I. aber die Schwierigkeiten an und würdigte sehr, was Mr. T'Chang Fui Zen tat. F. O. I. war auch um einen Mann namens Stillman sehr besorgt, ›obgleich ich‹, lautete der Brief, ›diesen Herrn ermitteln konnte und binnen kurzem seine Tätigkeit zu unserer Zufriedenheit lahmzulegen hoffe‹. Dieser Satz kam in jedem Brief vor und schien der Hauptpunkt zu sein, während alle übrigen endlosen Ausführungen bei jedem neuen Versuch geändert wurden.
»Es wird Ihnen wohl langweilig geworden sein, denselben Brief immer wieder zu schreiben?« meinte Amery, als er unter die letzte Fassung seine Unterschrift setzte.
Elsa lächelte.
»Nein, das kommt ja nicht oft vor, und ich gewöhne mich an Ihre Art und Weise, Major Amery. Ich glaube, bald werde ich Sie verstehen.«
»Und am Sonnabend wollen Sie uns verlassen?« äußerte er nachdenklich und lachte.
Er folgte ihr in ihr Zimmer und schaute sich schnell um.
»Sicher!« murmelte er. »Obgleich das nicht alles aufklärt.«
Elsa blickte ihn verdutzt an. »Alles aufklärt?« wiederholte sie.
»Ich dachte an etwas anderes.«
Nach dem Lunch fragte er ganz ohne Zusammenhang wie schon oft:
»Wohin gehen Sie heute abend?«
»Heute abend? Ich bleibe daheim«, antwortete sie.
»Ganz bestimmt?« »Aber selbstverständlich, Major, ich will mir die FaustÜbertragung im Radio anhören, ich habe diese Oper besonders gern.«
Zum erstenmal sah Elsa, daß Amery erstaunt war.
»Faust? Wie seltsam!«
»Ich sehe nichts Seltsames darin«, lachte sie. »Ich bin eine jener Radiohörerinnen, die leidenschaftlich gern Opern hören. Ich möchte nicht eine Note, nicht ein Wort verlieren.«
»Sehr seltsam!« wiederholteer. »Faust!«
Doch dann wechselte er plötzlich das Thema.
»Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen über die Kiste gesagt habe!« Bevor sie antworten konnte, ging er in sein
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