029 - Hexenjäger aus dem Gestern
ich dir biete, Tony Ballard!«
Ich ließ meine Hand mit dem Messer sinken.
»He, seit wann sind die Männer des Count denn so feige?« höhnte Ken Ketton.
Es machte mir nichts aus, daß er mich einen Feigling nannte. Ich wollte mit ihm nicht kämpfen. Ich sah in ihm keinen Feind. Es bestand die Gefahr, daß ich ihn schwer verletzte. Jeder, der mich kennt, weiß, daß ich den Kampf hasse und ihm nur dort nicht ausweiche, wo er unumgänglich ist.
»Na los, Tony Ballard!« brummte Ken Ketton. »Fang endlich an!«
Ich rührte mich nicht vom Fleck. Der Anführer der Gesetzlosen trat vor mich hin und schlitzte mir das Hemd auf. Ich ließ mich nicht provozieren.
»Willst du nicht endlich kämpfen?«
»Nein«, sagte ich kalt.
Er setzte mir das Messer an die Brust. »Du wirst dich verteidigen, Tony Ballard. Sonst schneide ich dir die Haut in Streifen.« Er verstärkte den Druck, ich fühlte einen brennenden Schmerz, und dann rann es mir warm über die Brust.
Blut!
Er hatte recht. Ich mußte mich verteidigen.
***
Esther Morgan kniete seit Stunden vor dem kleinen Hausaltar und betete zu Gott und allen Heiligen, die sie namentlich kannte. Sie betete für Selma, ihr einziges Kind, das sie unter Schmerzen geboren hatte.
Beinahe gestorben wäre sie bei der Geburt, und der Arzt hatte gesagt, daß sie kein zweites Kind haben dürfe, denn noch eine Schwangerschaft würde sie nicht überleben.
Vielleicht war ihre Bindung zu Selma deshalb besonders fest.
Liebe und grenzenloses Vertrauen brachte sie ihrer Tochter entgegen. Deshalb war es für sie auch undenkbar, daß Selma nachts aus dem Haus gegangen war, ohne ein Wort zu sagen.
Nein, fortgeholt mußte sie jemand haben, und Esther Morgan flehte den Himmel an, daß es nicht Stockard Ross, der grausame Hexenjäger, getan hatte. »Gütiger Gott«, flehte Esther Morgan mit tränenerstickter Stimme. »Erhöre die Gebete einer verzweifelten Mutter! Laß Jeremias das Kind finden und nach Hause bringen! Ich habe dich noch nie um etwas gebeten, war mit den Geschicken, wie du sie lenktest, zufrieden, habe stets fromm und gottesfürchtig gelebt. Ich weiß, daß es in deinem Ermessen liegt, was geschieht, aber bitte hilf, Herr, hilf – nur dieses eine Mal, und wir werden dir dankbar sein bis ans Ende unserer Tage.«
Die Stunden vergingen, ohne daß es Esther Morgan auffiel. Knieend verbrachte sie die Zeit, vertieft in einen endlosen Monolog, den sie erst beschließen wollte, wenn ihr Mann mit Selma zurückkehrte.
Es klopfte an die Haustür. Die Frau erschrak. Sie erhob sich. Die Knie schmerzten. Die ersten Meter legte sie humpelnd zurück, dann ließ der Schmerz nach. Wer mochte an die Tür geklopft haben?
Jeremias wohl kaum, er war hier zu Hause, wäre einfach eingetreten wie immer. Esther Morgan näherte sich beunruhigt der Tür.
Standen die Soldaten des Count draußen?
Sie fanden immer einen Grund, das Volk zu knechten.
Begehrten die Schergen des Hexenjägers Einlaß? Es war eine schreckliche Zeit. Man schrieb das 17. Jahrhundert, und in Europa gab es die Inquisition nicht mehr. Aber hier, in der Neuen Welt, war die grausame Hexenverfolgung aufgeflammt.
Einwanderer hatten die schreckliche Inquisition wie eine böse Seuche ins Land geschleppt, und jeder, der wollte, konnte seinen Nachbarn der Hexerei bezichtigen.
Es traf vor allem die Frauen, von denen man behauptete, sie wären Dienerinnen des Leibhaftigen. Eine einzige solche Beschuldigung reichte aus, um die Betroffene vor den Inquisitor zu bringen.
Dann rissen die Qualen nicht mehr ab…
Esther Morgan preßte die Hände auf ihr heißes Gesicht. Sie wagte die Tür nicht zu öffnen. »Wer ist da?« fragte sie ängstlich.
»Robert«, kam es durch die Tür. »Robert Daniels.«
Ein Freund. Dem Himmel sei Dank, ein Freund, dachte die Frau und machte die Tür auf. Daniels stand allein draußen.
»Wo sind die anderen?« fragte Esther Morgan. »Wo ist Jeremias? Habt ihr Selma gefunden? Das arme Kind…«
»Darf ich erst mal reinkommen, Esther?« fragte Robert Daniels verlegen.
Sie gab die Tür frei. Er trat seufzend ein, drehte seinen Hut zwischen den kräftigen Händen und wußte nicht, wie er beginnen sollte. Esther blieb seine Nervosität nicht verborgen.
Sie blickte ihn erschrocken an. »Seid ihr in einen Hinterhalt der Gesetzlosen geraten? Oder hattet ihr Schwierigkeiten mit den Soldaten Count Gilfords?«
Daniels schüttelte den Kopf. »Weder noch, Ethel.«
»Wieso ist Jeremias nicht bei dir?«
»Wir suchten
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