0291 - Medusas Höllenschwester
hatte er vor dem Beifahrersitz kein Pedal. Nicole schätzte eiskalt die Geschwindigkeit des Geländewagens ab, erkannte, daß keine Möglichkeit zum Bremsen mehr gegeben war - und trat das Gaspedal tiefer! Der Mercedes sang sein kraftvolles Lied entschieden lauter, und die beiden Insassen wurden gegen die Sitzlehnen gepreßt.
»Wahnsinnig?« keuchte Zamorra. »Das…«
Nicole zog nach links. Vor ihnen tauchte ein Truck auf, ein amerikanischer Typ, riesig und alles niederwalzend. Er flog förmlich heran, fuhr viel zu schnell. Der Geländewagen war schon fast da. Die Signalhörner des nahenden Lastzuges dröhnten entsetzlich laut. Zamorras Hände ballten sich verkrampft.
Da riß Nicole am Lenkrad.
Der Mercedes schleuderte wieder nach rechts. Er erhielt einen harten Schlag gegen das Heck, wollte weiter herumkreiseln, und Zamorra sah sie alle schon nach einem fünffachen Salto als ausbrennendes Wrack neben der Straße. Aber irgendwie schaffte Nicole es, den Wagen abzufangen. Der schwere Truck donnerte vorbei. Irgendwo krachte es noch einmal metallisch. Die Druckluftbremsen des Truck pfiffen schrill. Auch Nicole trat auf die Bremse, aber entschieden bedächtiger. Noch ein paarmal wollte der Wagen ausbrechen, aber dann hatte sie ihn unter Kontrolle, drehte in einem Stück auf der breiten Piste und rollte langsam zurück.
Auch der Truck stand. Der Fahrer sprang heraus und näherte sich wild fluchend.
Nicole hielt an. Sie stiegen aus und traten an den Straßenrand. Neben der Trasse, zwei Meter tiefer, lagen die Reste des Geländewagens, aus dem Flammen schlugen. Ein paar Meter neben dem Wagen lag eine verkrümmte Gestalt auf dem harten Boden im Steppengras.
Der Lastwagenfahrer schnatterte in einer wilden Mischung aus Französisch, Tunesisch und irgend einer Fantasiesprache, verfluchte den Geländewagen, den Mercedes und den Straßenverkehr allgemein. Er rief Allah und den Propheten als Zeugen für seine Unschuld an und beschwor alles Unheil auf Zamorra. Nicole und den Fahrer des Geländewagens.
Zamorra kletterte die Böschung hinunter und näherte sich dem reglosen Körper. Er drehte ihn langsam auf den Rücken und erschrak.
Es war Jorgensen. Das war es aber nicht, was Zamorra entsetzte, denn damit hatte er gerechnet. Aber Jorgensen brannte von innen!
Es dauerte nur ein paar Minuten, dann war von dem Mann nur noch eine ausgeglühte Hülle übrig, die raschelnd zu Staub zerfiel, als Zamorra sie vorsichtig mit der Fußspitze berührte. Der Truck-Fahrer beschwor alle Derwische, schrie etwas vom Scheitan, dem islamischen Teufel, und rannte davon. Der Motor seines Lastzuges brüllte auf, und er verschwand, als sei der Leibhaftige hinter ihm her.
Zamorra konnte ihm nachfühlen.
»Es steht geschrieben in der Sure des rostigen Schraubenschlüssels, daß viele Dinge, die man auf die lange Bank schiebt, sich dadurch von selbst erledigen, daß sie auf der anderen Seite wieder herunterfallen.« Er sah Nicole an. »Das Kapitel Jorgensen können wir abschließen.«
»Unfaßbar«, sagte Nicole. »Ich begreife nicht, wie er uns hier auflauem konnte. Er wollte uns rammen und uns das Schicksal zudenken, das er selbst erlitt.«
Zamorra hob die Schultern und kletterte wieder hoch zur Straße.
»Das Amulett ist die ganze Zeit über kalt geblieben«, sagte er. »Es wird mir also kaum eine Hilfe sein. Und wie Jorgensen uns anpeilen konnte - ich weiß es nicht. Ich habe nichts gespürt. Du?«
»Würde ich mich sonst wundern? Er konnte nicht einmal wissen, mit was für einem Wagen wir unterwegs waren! Trotzdem hat er uns erwischt.«
»Richtig. Hast du den Ruck am Heck gespürt? Schau dir das Elend an. Um ein Haar hätte es uns die hintere Stoßstange abgerissen. Und wir hätten vielleicht immer noch mit ihm zu tun, wenn ihm nicht der Truck in die Quere gekommen wäre. Der hat ihn glatt auf die Hörner genommen und drüben förmlich ins Gelände geschmissen. Das hat er nicht mehr verkraftet. Ansonsten hätte er allenfalls einen Hüpfer gemacht und wäre noch hinter uns her.«
»Jorgensen kannte uns nicht persönlich, und wir ihn nicht. Er hatte keinen Grund, uns ans Leben zu wollen. Also hat ihn jemand auf uns angesetzt. Vielleicht die gegnerische Dunkelmacht, mit der Bill es zu tun hat.«
»Mit Sicherheit. Und damit wissen wir auch ungefähr, was uns erwartet. Euryale fährt entschieden stärkere Geschütze gegen uns auf als seinerzeit Stheno bei Neapel. Damals hatten wir es mit beweglichen Marmorstatuen zu tun. Hier mit lebenden
Weitere Kostenlose Bücher