0298 - Im Haus der schlimmen Träume
geschnellt vom Stuhl aufsprang und wieselflink zur Tür rannte, die der Wirt offengelassen hatte…
Arthur O’Keefe stieß einen durch Mark und Bein gehenden Schrei aus. Fast gleichzeitig mit Zamorra wollte er den Raum verlassen, so daß sie sich gegenseitig in der Tür behinderten.
Myrjas Schritte hallten bereits über die Treppe.
»Sie entkommt«, keuchte der Wirt.
Zamorra hatte weder Zeit noch Lust, ihm zuzustimmen. Unten im Pub schlug eine Tür zu, und als sie wenig später ins Freie traten, war von Myrja keine Spur mehr zu sehen.
Zamorra faßte sich als erster wieder. »Dachte ich mir’s doch«, knurrte er grimmig und vollführte eine umfassende Handbewegung zur Straße hin. »Es hat aufgehört zu regnen!«
***
Es dunkelte bereits, als Zamorra nach erfolgloser Suche zum Pub zurückkehrte, wo Arthur O’Keefe mittlerweile den alltäglichen Betrieb aufgenommen hatte, um so wenig wie möglich aufzufallen.
In Zamorras Begleitung befand sich Gilbert Atkins, der kurz nach Myrjas neuerlichem Verschwinden bei ihnen aufgekreuzt war. Gemeinsam mit ihm hatte Zamorra Hugh Dorsays Haus aufgesucht und dabei besonders die Küche einer sorgfältigen Überprüfung unterzogen.
Schnell hatte er das gefunden, was Linus Fleetwood am Morgen vermißt hatte: Blutspuren! Zwar hatte sich jemand sichtbar Mühe gegeben, die Flecke restlos zu beseitigen, doch für ein geschultes Auge war immer noch einiges zu sehen.
Nur den Toten selbst fanden sie nicht. Auch nicht seinen Sohn. Das Haus war leer.
»Zumindest können wir es uns vorerst leisten, keine Polizei hinzuzuziehen«, versuchte Zamorra später im Pub, der Sache etwas Gutes abzugewinnen. »Und das wollten Sie doch, O’Keefe, kein Aufsehen - habe ich recht? Ja kein Aufsehen…«
Der Wirt sparte sich eine Antwort. Mißtrauisch ließ er den Blick durch die Gaststube wandern. Sie hatten sich wieder an einen Ecktisch zurückgezogen, um zu beraten: Er, Zamorra, Atkins, Fleetwood, O’Flaherty und Daniels. Nur Ferguson fehlte.
Kein Aufsehen, dachte O’Keefe sarkastisch und las in den lauernden Blicken seiner übrigen Gäste. Als ob die nicht schon längst Lunte gerochen hätten, daß etwas nicht stimmte. Nur was nicht stimmte, wußten sie noch nicht. Und der Wirt hoffte immer noch, daß sie die Sache regeln konnten, ohne in Zwangsjacken zu landen. Aber das würde schwer werden. Mittlerweile waren vier Personen verschwunden, darunter ein Toter.
»Wir sind diesem Spuk nicht gewachsen. Ich habe es gleich geahnt«, quengelte O’Flaherty. »Und Sie schaffen es auch nicht, Mister Zamorra. Sie sehen ja selbst das Resultat. Auch Ihre Freundin ist ein Opfer des Hauses geworden…«
»Richtig. Und deshalb werde ich auch nicht die Flinte ins Korn werfen! Noch ist nichts verloren. Auch dieses fremdartige Gebilde, das in der Lage ist, die Gestalt lebloser Materie anzunehmen, hat seine Schwächen und ist nicht unschlagbar. Nicole, Myrja und der junge Dorsay leben. Das wissen wir inzwischen. Die Tatsache, daß das Haus sie verschlungen hatte, war nicht gleichbedeutend mit ihrem Tod -diese Erkenntnis ist doch auch schon was wert. Meinen Sie nicht? Außerdem wissen wir, wie wenig das Haus von Wasser hält. Auch daraus läßt sich vielleicht noch Kapital schlagen.«
»Aber wie?« ging O’Keefe darauf ein. »Wir haben doch erlebt, wie es zugeht: Bei Regen zieht sich das Haus offensichtlich in eine sichere Zuflucht zurück, zu der wir keinen Zutritt haben. Und falls Myrja und die anderen mittlerweile wieder in ihm sind, werden sie auch mit ihm verschwinden. Ich sehe keine Möglichkeit…«
Er stockte, als eine Wiederholung jenes Ereignisses eintrat, mit dem alles begonnen hatte: Die Wirtshaustür wurde aufgestoßen, und Kilroy Ferguson stolperte herein. Sein suchender Blick erspähte den Ecktisch, an dem sie saßen, und er taumelte schweratmend auf sie zu, fiel am Ende fast vor ihnen auf die Tischplatte und preßte kaum hörbar hervor: »Es ist wieder da! Das Haus… ist wieder da…!«
Sechs Augenpaare starrten ihn entgeistert an.
Zamorra verdaute die Nachricht schneller als die anderen. Und er war fest entschlossen, diesmal seine Chance zu nutzen.
Nicole, dachte er, während er aufsprang und den Stuhl nach hinten wegkippen ließ.
***
Etwas Gespenstisches spielte sich vor seinen Augen ab. Mit jedem Schritt, den Zamorra hinter Kilroy Ferguson hertrottete, verdichteten sich die Zeichen, daß das unbegreifliche Wesen, das sich hinter dem »Haus« verbarg, nun zur Großoffensive
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