03 Arthur und die Stadt ohne Namen
Wind noch kälter als zuvor. Die dunklen Wolken machten es schwer zu erkennen, ob es noch Nachmittag war oder bereits die Abenddämmerung eingesetzt hatte. Wir liefen die Candlemaker Row hinab bis zum Grassmarket. Heute säumten jede Menge Pubs und Restaurants den Platz im Schatten des Burgbergs, auf dem früher die Hinrichtungen stattgefunden hatten. Wir folgten auf der anderen Seite der Victoria Street mit ihren bunten kleinen Läden den Hügel hinauf. Von dort gelangten wir über eine Treppe zurück auf die Royal Mile.
Regelmäßig sah ich mich suchend um, ob nicht irgendwo ein Rotschopf aus der Menge auftauchte.
»Wonach hältst du denn dauernd Ausschau?«, fragte Larissa. »Vielleicht nach deiner Fiona?«
Oh nein, nicht das schon wieder! »Sie ist nicht ...«, begann ich, bevor ich Larissas Grinsen bemerkte.
»Sie sah ja wirklich nicht übel aus«, fuhr sie fort. »Wenn ich ein Junge wär, dann würde ich auch auf sie abfahren.«
»Lass es«, erwiderte ich.
»Gib wenigstens zu, dass sie dich ganz schön nervös gemacht hat«, insistierte Larissa.
»Wenn du dann zufrieden bist«, seufzte ich. »Ja, sie hat mich ein wenig aus der Fassung gebracht. Aber das war’s auch schon.«
»So, so, aus der Fassung hat sie dich gebracht«, sinnierte sie laut, während wir in die Cockburn Street einbogen, die uns wieder vom Hügel herab zur Waverley Bridge brachte. Ich machte ein wenig Tempo. Je weiter wir uns von der Altstadt entfernten, desto sicherer fühlte ich mich. Warum ich so einen Bammel vor Burke und Hare hatte, wusste ich selbst nicht.
Sie waren nur zwei Jungen, mit denen Larissa und ich es im Notfall sogar körperlich aufnehmen könnten. Es war irgendetwas, das sie ausstrahlten, eine Art unterschwelliger Bedrohung.
Larissa stupste mich in die Seite. »Hey, wo bist du mit deinen Gedanken? Oder habe ich dich jetzt aus der Fassung gebracht?«
»Warum müsst ihr Frauen nur so kompliziert sein«, brummelte ich.
»Ihr Frauen?« Larissa versetzte mir einen weiteren Stoß. »Was soll das denn heißen? Mit wem hast du denn sonst noch deine Erfahrungen gesammelt?«
»Das ist doch bloß so eine Redewendung«, verteidigte ich mich. Dass man auch immer auf jedes Wort achten musste! Als ob es nicht genug Dinge gab, vor denen wir auf der Hut sein sollten.
»Ach so. Nur eine Redewendung«, erwiderte Larissa spöttisch. Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln. War das nun ein neuer Eifersuchtsanfall oder machte sie nur Spaß? Es fiel mir schwer, das zu unterscheiden. Sie sah nicht verärgert aus, aber ich hatte ihre Launen im vergangenen Jahr mitbekommen und wusste, wie schnell ihre Stimmung kippen konnte.
»Nun hör schon auf«, wiederholte ich. »Du weißt genau, dass ich mich nicht besonders für Mädels interessiere.«
Sie blieb stehen. »Auch nicht für mich?«
Ich stoppte ebenfalls. Die Frage erwischte mich auf dem falschen Fuß. Natürlich hatte ich schon manchmal darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn wir ein Paar wären. Allein schon deshalb, weil mich meine Klassenkumpels, die uns häufiger zusammen gesehen hatten, ständig damit aufzogen. Für sie stand schon lange fest, dass wir miteinander gingen.
Larissa war ja auch ein attraktives Mädchen – oder sollte ich sagen: eine junge Frau? Andererseits war sie für mich immer noch die Larissa, die ich bei unserem ersten Abenteuer in Amsterdam als guten Freund schätzen gelernt hatte. Und ich hatte Sorgen, dass diese Freundschaft vielleicht darunter leiden könnte, wenn sich aus unserer Beziehung mehr entwickelte. Bei meinen Kumpels hatte ich beobachtet, wie schnell so eine Liebesbeziehung in die Brüche gehen konnte. Meistens hatten sich die Beteiligten anschließend nicht mehr viel zu sagen. Und das wollte ich auf jeden Fall vermeiden.
Aber was wollte Larissa?
Wir hatten noch nie über dieses Thema miteinander gesprochen. Und ich fand auch nicht, dass das hier der richtige Zeitpunkt dafür war.
Larissa wartete immer noch auf eine Antwort von mir.
»Du bist für mich der wichtigste Mensch auf der Welt«, sagte ich.
Das hatte sie wohl nicht erwartet. Ihr Gesicht wurde ernst. Nach einem Moment legte sie ihren Arm um mich und drückte mich wortlos an sich. Es fühlte sich gut an.
Viel zu schnell löste sie sich wieder von mir. Schweigend gingen wir die Straße bis zum Ende und überquerten die Waverley Bridge. Unter uns rollten gerade zwei Züge aus dem Bahnhof. Am Ende der Brücke stand ein grauhaariger Mann in Kilt und Uniformjacke und blies eine
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