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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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schwielige rauhe Haut fühlte, überkam ihn ein unerklärlicher Schmerz.
    Als er wieder aufstand, sagte sie mit heiserer Stimme, als koste es Mühe, überhaupt zu sprechen: »Die Polizei von Slough will uns Mattie nicht geben. Ich habe heut angerufen. Aber sie geben ihn uns nicht. Wir können ihn nicht einmal beerdigen.«
    Lynley setzte sich auf das Sofa. Die rosafarbene Decke, die sonst darüber gebreitet war, lag hingeworfen auf dem Boden.
    »Sie bekommen Matthew, sobald die Autopsie abgeschlossen ist«, sagte er zu ihr. »Es kann ein paar Tage dauern, weil verschiedene Untersuchungen gemacht werden müssen.«
    Patsy zupfte am Ärmel ihres Morgenrocks, wo ein Teigspritzer zu einem harten Klümpchen erstarrt war.
    »Hat doch alles keinen Sinn. Mattie ist tot.«
    »Mrs. Whateley.« Noch nie hatte Lynley sich so nutzlos und ohnmächtig gefühlt. Umsonst suchte er nach Worten des Trosts; er fand keine; nur eine Kleinigkeit fiel ihm ein, die ihr vielleicht etwas bedeuten würde.
    »Sie hatten recht, Mrs. Whateley.«
    »Recht?« Sie fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen.
    »Wir haben heute morgen seine Kleider gefunden. Wir sind jetzt ziemlich sicher, daß er in Bredgar Chambers gestorben ist. Sie hatten recht. Er ist nicht weggelaufen.«
    Es schien ihr tatsächlich ein kleiner Trost zu sein. Sie nickte und schaute zu dem Foto des Jungen auf dem Büffet in der Eßecke. »Mattie ist nie vor irgendwas davongelaufen, Inspector. Das war nicht seine Art. Ich hab's von Anfang an gewußt. So haben wir ihn nicht erzogen, daß er wegläuft, wenn's ein bißchen schwierig wird. Er hat immer alles angepackt. Ich versteh nicht, warum sie ihn getötet haben.«
    Eben diese Frage hatte sie nach Hammersmith geführt. Lynley suchte nach einem behutsamen Weg. Sein Blick schweifte durch das Zimmer und blieb an dem Regal unter dem Fenster hängen, wo die Tassensammlung und die Skulpturen standen.
    »Haben Sie Geschwister, Mrs. Whateley?«
    »Vier Brüder und eine Schwester.«
    »Hat von Ihren Brüdern einer die gleichen Schwierigkeiten wie Matthew, bestimmte Farben zu unterscheiden?«
    Sie sah ihn verblüfft an. »Nein. Warum?«
    Barbara kam mit einem Tablett aus der Küche. Eine Tasse Tee und ein Teller mit zwei Käsebroten, die mit Tomate garniert waren, standen darauf. Sie stellte es vor Patsy Whateley auf den Tisch und drückte ihr ein halbes Brötchen in die Hand. Lynley wartete, bis Patsy zu essen angefangen hatte, ehe er fortfuhr.
    »Die sogenannte Farbenfehlsichtigkeit, die sich darin äußert, daß man gewisse Farben nicht unterscheiden kann, ist geschlechtsgebunden«, erklärte er. »Mütter geben sie an ihre Söhne weiter. Das heißt, daß Sie sie an Matthew weitergegeben haben müßten.«
    »Mattie konnte die meisten Farben gut auseinanderhalten«, protestierte sie. »Nur mit einigen hatte er Mühe.«
    »Mit blau und gelb«, sagte Lynley, »den Schulfarben von Bredgar Chambers.« Er kam wieder auf den zentralen Punkt. »Wenn Sie diesen Erbfehler an Matthew weitergegeben hätten, müßten Sie Ihrerseits ihn von Ihrer Mutter geerbt haben. Dann wäre es aber unwahrscheinlich, daß er sich bei keinem Ihrer Brüder gezeigt hätte.«
    »Was hat das alles mit Matties Tod zu tun?«
    »Es hat mehr mit seinem Leben als mit seinem Tod zu tun«, antwortete Lynley behutsam. »Es läßt darauf schließen, daß Matthew nicht Ihr leiblicher Sohn war.«
    Die Hand, die das Brötchen hielt, fiel herab. Eine Scheibe Tomate rutschte herunter, ein roter Fleck auf dem gelben Grund des Morgenrocks. »Mattie wußte es nicht.«
    Abrupt stand sie auf und legte das Brot auf den Teller. Sie ging zum Büffet und kam mit Matthews Fotografie zurück. Mit beiden Händen hielt sie den Rahmen umfaßt und starrte unverwandt auf das Bild, während sie sprach. »Mattie war unser Kind. Unser richtiges Kind. Für uns hat es nie eine Rolle gespielt, daß eine fremde Frau ihn geboren hatte. Er war unser Kind. Von dem Moment an, als wir ihn bekamen. Da war er sechs Monate alt. Und so brav. Wir haben ihn vom ersten Moment an geliebt.«
    »Was wissen Sie über seine Herkunft?«
    »Fast nichts. Nur daß ein Elternteil chinesischer Abstammung war. Aber das spielte für Kev und mich keine Rolle. Er war unser Kind. Von Anfang an. Wir wollten damals ein Kind adoptieren. Aber da bestand überhaupt keine Aussicht.« Sie blickte auf. »Mein Mann hatte damals berufliche Schwierigkeiten, aber selbst wenn das nicht gewesen wäre, hätten sie uns kein Kind gegeben.

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