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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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außerhalb des Städtchens Stoke Poges. Ihre Aufmerksamkeit galt keinem Detail im besonderen. Vielmehr versuchte sie zurückzurechnen, wie oft in den vergangenen vier Wochen sie nicht nur diese Schlußworte, sondern Hopkins' ganzes Sonett für sich aufgesagt hatte. Jeden neuen Tag hatte sie mit ihm begonnen und hatte daraus die Kraft geschöpft, die sie aus dem Bett, aus dem Hotelzimmer zu ihrem Wagen trieb und weiter von einem Aufnahmeort zum nächsten, wo sie wie ein Automat fotografiert hatte. Darüber hinaus jedoch hätte sie nicht sagen können, wie oft jeden Tag sie zu diesen vierzehn Zeilen flehentlicher Bitte Zuflucht genommen hatte, sobald irgendein unerwarteter Anblick, ein Wort, eine Musik oder sonst ein Geräusch, auf das sie nicht vorbereitet war, ihre Abwehr durchdrungen und ihre Ruhe erschüttert hatten.
    Sie wußte, warum die Zeilen ihr jetzt in den Sinn kamen. Die Kirche von St. Giles war die letzte Station ihrer Fahrt, die mehr eine Flucht gewesen war. Am Ende dieses Nachmittags würde sie nach London zurückkehren, allerdings nicht auf der M 4, das wäre ihr zu schnell gegangen, sondern lieber auf der A 4 mit ihren vielen Ampeln, den ewigen Staus rund um Heathrow und der langen Kette rußverschmutzter und wintergrauer Vororte. Das würde die Fahrt in die Länge ziehen, und genau das war der springende Punkt. Sie konnte ihr Ende nicht ins Auge fassen. Sie wußte noch immer nicht, wie sie es fertigbringen sollte, Simon gegenüberzutreten.
    Vor Monaten, als sie diesen Auftrag, Schauplätze von literarischer Bedeutung zu fotografieren, übernommen hatte, hatte sie die Fahrt so geplant, daß in Stoke Poges, wo Thomas Gray seine Elegy Written in a Country Churchyard geschrieben hatte, ihre Arbeit, nur einen Katzensprung von zu Hause, ihren Abschluß finden würde.
    Deborah öffnete die Wagentür, nahm Kamera und Stativ und ging über den Parkplatz zum Tor. Der Friedhof dahinter war in zwei Hälften unterteilt; einen gebogenen Betonweg hinunter stand auf halbem Weg ein zweites überdachtes Tor, das in den zweiten Friedhof führte.
    Die Luft war kalt für Spätmärz, ohne Verheißung des kommenden Frühlings. Ab und zu zwitscherte ein Vogel in den Bäumen, sonst war es, abgesehen vom gelegentlichen gedämpften Brummen eines Jets von Heathrow, still auf dem Friedhof. Verständlich, dachte sie, daß Thomas Gray hier sein Gedicht geschrieben und sich diesen Ort zur letzten Ruhe gewählt hatte.
    Sie schloß das erste Tor hinter sich und ging zwischen zwei Reihen Buschrosen hindurch den Weg entlang. Die Bäumchen hatten schon neue Triebe, zarte junge Blättchen und feste kleine Knospen, doch diese neue Frische stand in scharfem Kontrast zur Umgebung. Dieser äußere Friedhof war schlecht instand gehalten. Gras und Unkräuter wucherten wild, die alten verwitterten Grabsteine standen schief.
    Das zweite Tor war feiner gearbeitet als das erste, und vielleicht in der Hoffnung, mutwillige Zerstörer davon abzuhalten, das feine Schnitzwerk des Tordachs, möglicherweise auch den Friedhof und die Kirche selbst, zu beschädigen, hatte man an einem der Torpfosten einen Scheinwerfer angebracht. Aber diese Vorsichtsmaßnahme konnte jetzt nichts mehr helfen; der Scheinwerfer war eingeschlagen, Glasscherben lagen hier und dort auf dem Boden.
    Hinter dem zweiten Tor hielt Deborah nach dem Grab Thomas Grays Ausschau, das Gegenstand ihrer letzten Aufnahmen werden sollte. Beinahe sofort fiel ihr Blick auf eine Spur von Vogelfedern. Wie von der Hand eines Auguren zerzupft und ausgestreut lagen sie da, aschfarbener Flaum im gepflegten grünen Rasen. Sie sahen aus wie kleine Rauchwölkchen, die anstatt zum Himmel aufzusteigen und sich in der Luft aufzulösen, Substanz angenommen hatten. Doch die Zahl der Federn und die eindeutig gewaltsame Art, wie sie zerrupft worden waren, ließen auf einen erbitterten Kampf auf Leben und Tod schließen, und Deborah folgte ihrer Spur zu dem Ort ganz in der Nähe, wo der besiegte Kämpfer lag.
    Der Kadaver des Vogels befand sich etwa einen halben Meter von der Eibenhecke entfernt, die inneren und äußeren Friedhof trennte. Deborah erschrak bei seinem Anblick. Obwohl sie geahnt hatte, was sie entdecken würde, überkam sie angesichts der Brutalität, durch die das Geschöpf den Tod gefunden hatte, ein so tiefes Mitleiden - völlig absurd, wie sie sich sagte -, daß ihr die Tränen in die Augen schossen. Nichts war übrig von dem Vogel als ein zerbrechlicher, blutgetränkter Brustkorb, von

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