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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Marmors auf seinem Schoß. Daß sie bereit war, ihm die Hand zu reichen und zu verstehen.
    »Patsy -« Er konnte nicht weiter.
    »Ich weiß ja«, sagte sie. »Ich weiß.«
    Er begann zu weinen.
    Barbara wartete, bis Lynley abgefahren war, ehe sie das letzte Stück zum Haus ihrer Eltern in Acton ging. Wegen der fortgeschrittenen Stunde hatte er sie bis vor die Tür fahren wollen, aber sie hatte ihn beredet, sie an der Ecke Gunnersbury Lane und Uxbridge Road abzusetzen. Sie brauche ein paar Minuten frische Luft, einen kleinen Spaziergang, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, hatte sie behauptet.
    Zuerst hatte Lynley Einwendungen erhoben. Er fand es leichtsinnig, daß sie spät abends allein durch die dunklen Straßen eines Londoner Vororts gehen wollte.
    Aber sie hatte nicht nachgegeben, und vielleicht hatte er hinter ihren Worten ihr dringendes Bedürfnis gespürt, in Ruhe gelassen zu werden; vielleicht hatte er verstanden, wie wichtig es ihr war, daß er nicht sah, in welchen Verhältnissen sie lebte. Er war immerhin ein scharfer Beobachter und hatte gewiß nicht übersehen, wie verkommen und schäbig Teile der Gegend waren, die sie gerade durchfahren hatten. Wie dem auch sein mochte, er hatte schließlich widerstrebend nachgegeben und den Wagen unter einer Straßenlampe angehalten.
    »Havers, soll ich Sie wirklich nicht nach Hause fahren?«
    »Mir passiert schon nichts, Sir. Wirklich.« Sie kramte in ihrer Umhängetasche und holte ihre Zigaretten heraus.
    »Bis morgen dann.« Sie wünschte St. James gute Nacht und trat vom Wagen zurück.
    Es war sehr still und sehr dunkel, Mond und Sterne von Regenwolken verhüllt. Das einzige Geräusch war das rhythmische Klappern ihrer Absätze auf dem Pflaster.
    Vor dem Haus warf sie ihre Zigarette weg und ging über den betonharten Vorplatz aus festgetrampelter Erde, den nicht einmal der Regen aufzuweichen vermocht hatte. Sie stieg die Stufen zur Tür hinauf und suchte dabei ihre Schlüssel in der Tasche. Sie war todmüde und fühlte sich schwach. Es war ein zermürbender Tag gewesen.
    Das Summen fiel ihr sofort auf, als sie die Tür öffnete. Es war ein eintöniges Geräusch, aus zwei Tönen nur bestehend, die sich ständig wiederholten. Es kam von der Treppe, und Barbara sah auf der zweiten Stufe von unten eine Gestalt hocken, die Arme um die Beine geschlungen, den Kopf auf den Knien.
    »Mama?« flüsterte sie.
    Das Summen ging weiter. Mit zitternder Stimme flocht ihre Mutter ein paar Wörter ein. »Fahre nicht nach Argentinien ...«
    Barbara ging zu ihr. »Mama? Wieso bist du nicht im Bett?«
    Doris Havers hob den Kopf. Ihr Mund verzog sich zu einem leeren Lächeln. »Es gibt dort tatsächlich Lamas, Kind. In dem Zoo. In Kalifornien. Aber ich glaube, wir können nicht fahren.«
    Obwohl ihr Gewissen von ihr forderte, sich bei ihrer Mutter dafür zu entschuldigen, daß sie sie nicht hatte wissen lassen, wie spät sie nach Hause kommen würde, spürte Barbara aufkommende Gereiztheit. Ihre Mutter mußte doch inzwischen wissen, daß sie manchmal nicht anrufen konnte. Ihr Vater mußte doch vernünftig genug sein, ihrer Mutter erklären zu können, was Barbaras Ausbleiben bedeutete.
    Sie nahm ein zweites Geräusch im Haus wahr, das ihr beim Eintreten nicht aufgefallen war, das monotone Brummen des Fernsehapparats, auf einen Sender eingestellt, der sein Programm bereits beendet hatte. Sie schaute zum Wohnzimmer hinüber.
    »Mama!« Sie gab der Gereiztheit nach. »Ist Dad auch nicht im Bett? Hast du ihn vor dem Fernseher einschlafen lassen? Ach, Mensch, du weißt doch, daß er richtig schlafen muß. Im Sessel geht das nicht. Das weißt du doch, Mama.«
    Doris Havers hob den Arm und hielt Barbara fest.
    »Kind. Wir können nicht fahren, nicht wahr? Und dabei sind die Lamas so süß.«
    Barbara schob die Hand ihrer Mutter weg. Mit einem unterdrückten Fluch ging sie ins Wohnzimmer. Ihr Vater saß in seinem Sessel. Das Zimmer war dunkel. Barbara schaltete den Fernsehapparat aus. Sie bückte sich, um die Stehlampe neben dem Sessel ihres Vaters einzuschalten. Mit einem Schlag wurde ihr bewußt, was an diesem Abend anders war als sonst. Sie hatte das Summen ihrer Mutter gehört. Sie hatte das Brummen des Fernsehapparats gehört. Aber das eine Geräusch, das sie seit Jahren zu hören gewöhnt war, das hatte sie nicht gehört. Sie hatte nicht den mühsamen, röchelnden Atem ihres Vaters gehört. Nicht, als sie an der Tür gestanden hatte. Nicht an der Treppe. Und auch jetzt nicht, obwohl

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