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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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nicht in die Kapelle hätte gehen sehen, wäre ihm der silbergraue Bentley in der Auffahrt aufgefallen, und er hätte sich seinen Reim darauf gemacht. Zwar kreuzte die Polizei normalerweise nicht in solchen Prachtgefährten auf, aber es war ja auch nicht jeder Polizeibeamte aus adeligem Haus.
    Im Lehrerzimmer auf der Südseite des Hofs sah Corntel müßig zu, wie die letzten Tropfen Morgenkaffee aus der Maschine in seine Tasse rannen. Er versuchte krampfhaft, alle Bilder zu verdrängen, die seine brüchige Fassade selbstsicherer Gelassenheit hätten gefährden können. Und dennoch gingen ihm immer wieder die gleichen quälenden Gedanken durch den Kopf: Hätte ich doch die Morants angerufen, um mich zu erkundigen, ob Matthew wohlbehalten angekommen ist; hätte ich den Jungen nur persönlich zum Treffpunkt mit seinen Kameraden gebracht; hätte ich nur mit Brian Byrne gesprochen und mich vergewissert, daß er über den Verbleib aller Jungen Bescheid wußte; hätte ich nur selbst häufiger die Schlafräume aufgesucht, anstatt es den Schülern zu überlassen; wäre ich nur nicht so mit mir selbst beschäftigt gewesen - in einem solchen Zustand tödlicher Verlegenheit; hätte ich mich nur nicht so ertappt gefühlt, so nackt und zutiefst gedemütigt.
    Auf dem Tisch neben der Kaffeemaschine lagen die Überreste des Frühstücks: ein Stapel kalter Toast, eine silberne Platte mit klebrig gewordenem Rührei, fünf Streifen Schinkenspeck mit feucht glänzenden Fetträndern, Corn-flakes, eine Schale mit Grapefruitschnitzeln aus der Dose, ein Teller mit Bananen. Corntel spürte, wie sich ihm der Magen umzudrehen drohte, und schloß die Augen. Er konnte sich nicht mit Sicherheit erinnern, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte. Vage entsann er sich an eine Mahlzeit am Freitag abend, aber seitdem nichts mehr. Es war ihm unmöglich gewesen.
    Er hob den Blick zum Fenster. Über den Rasen hinweg konnte er die Schüler in einem Raum in der Werkstatt an der Arbeit sehen, wo sie als Bestätigung der in Bredgar Chambers vertretenen Philosophie, daß die Kreativität jeden Kindes energischer Anregung bedürfe, eifrig hämmerten und bohrten. Die Werkstatt, noch keine zehn Jahre alt, war von Anfang an Gegenstand leidenschaftlicher Kontroversen unter den Lehrern gewesen. Die einen vertraten die Ansicht, sie böte den Schülern die Möglichkeit zum Einsatz solcher Kräfte, die in einem rein auf geistige Leistung gerichteten Milieu allzu häufig brachlägen; die anderen behaupteten, Sport und Spiel am Nachmittag böten genau die gleichen Möglichkeiten, während eine Werkstatt letztendlich nichts weiter bewirke, als daß sich »unwillkommene Elemente« um Aufnahme bewürben. Corntel lächelte mit grimmigem Spott beim Gedanken an dieses Argument. Das bloße Vorhandensein eines Gebäudes, wo die Schüler mit Holz, Plastik, Metall und elektronischen Geräten umzugehen lernten, hatte an der Aufnahmepolitik, die seit fünfhundert Jahren galt und von jedem Schulleiter unterstützt worden war, überhaupt nichts geändert. Der Schulprospekt mochte von Chancengleichheit reden. Die Realität sah anders aus. Oder hatte zumindest bis zu dem Tag anders ausgesehen, als Matthew Whateley gekommen war.
    Corntel wollte nicht an den Jungen denken. Er schob alle Gedanken an ihn von sich. Aber an Matthews Stelle kam, als wolle er mit drohendem Finger das Versagen seines Sohnes anprangern, Corntels Vater, Leiter eines der angesehensten Internate des Landes, unerschütterlich in der Tradition und fest im Glauben an klar abgesteckte Grenzen. Dort gab es keine Werkstatt.
    »Hausvater!« hatte Patrick Corntel anerkennend durchs Telefon gebrüllt, als befände sich sein Sohn auf einem anderen Kontinent und nicht gleich um die Ecke.
    »So ist's richtig, Johnny. Hausvater und Leiter des englischen Fachbereichs! Das lob ich mir. Als nächstes ist der stellvertretende Schulleiter fällig, Junge. Laß dir zwei Jahre Zeit, aber nicht mehr. Nur nicht auf einer Stelle versauern.«
    Stellvertretender Schulleiter. Ganz wie du meinst, Vater. Es war einfacher, als sich herumzustreiten und viel einfacher, als die Wahrheit zu sagen. Weiter als bis zum Hausvater und Fachbereichsleiter würde er es nicht bringen. Dies war der Höhepunkt seiner Karriere. In ihm brannte kein Bedürfnis, sich selbst oder anderen etwas zu beweisen.
    »Sie treiben wohl alte Schulden ein, was, John?«
    Corntel fuhr herum. Direkt neben ihm an der Kaffeemaschine stand Cowfrey Pitt, der Deutschlehrer und

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